Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
nur noch ein einziger Gedanke herrschte, dann konnte das nur eines bedeuten: Ihre Schwester Helena war eingetroffen.
Wie Venus auf ihrer Muschelhälfte, ans Ufer getragen von einer schaumgekrönten Woge, glitt sie herein und blieb auf der Schwelle stehen. Auch heute hatte sie auf die Mode des Tages verzichtet und sich für ein fließendes, schmal geschnittenes apfelgrünes Gewand entschieden, das ihre perfekte Figur betonte. Mit den kupferfarbenen Locken und dem schönen Gesicht erregte sie selbst bei den abgehärtetsten Herren Aufmerksamkeit.
Abigail warf einen Blick auf ihren Tanzpartner, der sie schon fast vergessen hatte. Ihre tief empfundenen Worte hatte er offenbar überhört, und ihre hoch fliegenden Hoffnungen schwanden langsam dahin. Fünf Minuten lang hatte sie vollkommen glücklich in Leutnant Butlers Armen getanzt. Sie hatte zu hoffen gewagt, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, und vielleicht war es ja für diese wenigen Minuten auch so gewesen. Doch jetzt hatte sie ihn natürlich verloren.
„Das ist meine Schwester, Miss Helena Cabot“, teilte sie ihm mit, weil sie das Unvermeidliche nicht lange hinauszögern wollte. „Vornehm verspätet wie üblich.“
Sie ahnte, was jetzt kommen würde. Ihr Tanzpartner würde äußern, sie wirke erhitzt und überanstrengt, denn sicherlich habe er ihre Kräfte überbeansprucht, und es sei nun seine Pflicht, sie zu einem Sofa beim Büfett zu geleiten. Und dann würde er sein Bestes tun, um nicht allzu durchsichtig darum zu bitten, Helena vorgestellt zu werden.
Und Abigail ihrerseits würde versuchen, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, sondern lächelnd zurücktreten, während er sich Hals über Kopf in ihre Schwester verliebte.
Ohne ihr Dazutun hatte Helena die ganze Tanzformation durcheinander gebracht, und zu spät merkte Abigail, dass Boyd sie rückwärts zum Rand der Tanzfläche schob.
Und dann passierte es. Sie knickte mit dem Fuß um, fühlte den Schmerz in ihrem Bein hochschießen und klammerte sich hastig an den Leutnant, konnte sich jedoch nicht an ihm festhalten und taumelte rückwärts. Über ihre Schulter hinweg sah sie den Tisch mit der riesigen Hochzeitstorte, dem kostbaren Präsidentenporzellan, Dolly Mastersons Silberservice sowie eine Pyramide von Champagnergläsern aus irischem Kristall. Mit wild rudernden Armen fiel sie nach hinten, ohne etwas zu finden, woran sie sich hätte festhalten können.
Leutnant Butler sah sie entsetzt an. Er sprang auf sie zu, um ihren Sturz aufzuhalten, kam indes zu spät.
Und dann geschah ein Wunder. Zwei starke Arme fassten sie von hinten und zogen sie an eine starke, breite Brust.
„Immer mit der Ruhe, Miss.“ Die tiefe, weiche Stimme mit dem Akzent des Mannes aus Virginia kannte sie. „Sie wollen doch nicht der Hauptgang beim Bankett werden.“
Das war der Fremde, Jamie Calhoun. Die Wärme und die Festigkeit seines Körpers erschreckten sie. Er wirkte wie eine solide Wand zwischen ihr und der Katastrophe.
Sanft fasste er ihre Finger und klopfte lässig einen Schmutzstreifen von ihrem Handschuh. „Mir gefällt eine Frau, die sich nicht scheut, sich bei ihrer Pflichterfüllung die Hände schmutzig zu machen.“ Das Lachen in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Restlos gedemütigt, zog sie ihre Hand fort. „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Sir. Und nun wünsche ich ...“
„Hat man Ihnen noch nie gesagt, dass Sie mit Ihren Wünschen vorsichtig sein müssen? Kommen Sie, Teuerste. Der Tanz ist noch nicht vorüber.“ Er führte sie, als wäre sie ein abhanden gekommenes Kind, und übergab sie wieder an Leutnant Butler.
„Sir“, bemerkte er, „ich rate Ihnen, in Zukunft Ihre Partnerin fester an die Kandare zu nehmen.“ Damit trat er zur Seite, um sich zu vergewissern, dass er die beiden zusammengeführt hatte und dass Abigail wieder fest auf den Füßen stand. „Sie wissen doch, was man von schnellen Frauen und Vollblutpferden sagt“, fügte er mit demselben Zwinkern hinzu, mit dem er sie vorhin schon empört hatte. „Wenn Sie denen die Zügel schießen lassen, rennen sie Sie über den Haufen.“ Er lachte leise über seinen völlig unangebrachten Scherz und zog sich dann zurück.
Abigail brannte vor Erniedrigung, und sie war sich sicher, dass auch Leutnant Butler diese Hitze wie ein Fieber fühlen musste.
Sie verabscheute diesen Calhoun mitsamt seinem groben Witz und seinem Spott abgrundtief. Dennoch musste sie eine Tatsache anerkennen: Während jeder andere Mann in
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