Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
Neffe einen Mann wie Sie zu durchschauen vermag. Sagen Sie mir, hält Ihr Vater ihn als einen Sklaven, oder zahlt er ihm einen Hungerlohn für seine Arbeit auf Albion?“
Jamie entfernte sich ein paar Schritte von ihr. „Sie haben eine völlig falsche Vorstellung von den Dingen, Abby.“
Seine Verärgerung weckte ihre Neugier. „Dann klären Sie mich doch auf.“
„Es gefiel mir nie, der einzige Sohn meiner Mutter zu sein, der einzig rechtmäßige.“
„Warum nicht?“
„Weil ich nicht derjenige sein wollte, von dem man alles erwartete.“
Das überraschte Abigail nicht. „War Noahs Mutter eine Sk l av in? «
Er nickte. „Als mein Vater jung war und noch törichter als ich,
ließ er sich auf ein Abenteuer mit einer Wäscherin auf Albion ein. Er war - ist - ein anständiger, wenn auch leichtsinniger Mensch. Wenn es um die Liebe ging, hat er immer sein Urteilsvermögen verloren. Ich glaube, Noahs Mutter liebte er tatsächlich, doch das hat den beiden stets nur Kummer gebracht.“
„Und einen Sohn.“
„Ja, und einen Sohn. Mein Vater gab Noah schließlich den Namen Calhoun, erkannte seinen Sohn indes erst an, als der Junge sechzehn Jahre alt war und keinen Vater mehr nötig hatte.“
„Ich glaube nicht, dass es möglich ist, einen Vater nicht mehr nötig zu haben“, meinte Abigail.
Jamie quittierte diese Bemerkung nur mit einem Schulterzucken. „Noah ist jedenfalls recht ordentlich ohne ihn ausgekommen. Was im Übrigen nur gut war, denn mein Vater war zu jener Zeit viel zu beschäftigt mit seinen anderen Liebesaffären.“
Abigail musste an die frischen Blumen auf dem Grabstein der Lacey Beaumont Calhoun denken, und ein Schauder rann ihr über den Rücken. Jamie schien andeuten zu wollen, dass die männlichen Calhouns eben dazu bestimmt waren, tragische Liebesaffären zu durchleiden.
Sie betrachtete sein Gesicht und versuchte, darin den Jungen zu erkennen, der er einmal gewesen sein mochte, doch alles, was sie sah, war eine undurchdringliche Fassade. Hatte er früher schon von den Affären seines Vaters gewusst? Wie hatten sie sich auf ihn ausgewirkt?
Als hätte sie diese Frage laut gestellt, antwortete Jamie: „Sie sehen also, was die Liebe betrifft, neigen die Männer meiner Familie nicht dazu, sich loyal zu verhalten.“
„Loyalität ist kein angeborener Charakterzug. Außerdem haben Sie wahrscheinlich mehr von Noah in sich als von Ihrem Vater, und Sie sagten ja, Noah sei ein guter Mensch gewesen. Das weiß Julius auch, doch ich kann mir denken, dass er in seinem Alter gewisse Fragen hat. Auf jeden Fall hatte ich solche Fragen wegen meiner Mutter. Dennoch sprach mein Vater nie über sie.“ Abigail wollte nicht lockerlassen. „Sie sollten sich schämen, dass Sie Julius nicht erzählen, wie sein Vater ums Leben gekommen ist. Das schulden Sie dem Jungen, Jamie.“
Er winkte ab. „Glauben Sie, das würde ihm helfen? Meinen Sie, Julius müsste unbedingt ganz genau wissen, wie sein Vater starb?“ „Er verdient es, die Wahrheit zu erfahren.“
„Nicht diese Wahrheit.“
„Was ist denn geschehen?“
Jamie antwortete nicht gleich. „Das ist eine lange Geschichte, Abigail.“
„Die Fahrt auf dem Potomac dauert auch lange.“
Er stützte die Hände auf die Hüften, starrte gedankenverloren auf das dunkle Wasser hinaus und schien in weite Fernen zu blicken. „Wir befanden uns auf einer Reise, um Pferde im Nahen Osten zu kaufen, und dabei gab es Ärger.“
Jamie musste schlucken und sprach dann so leise, als hätte er vergessen, dass Abigail noch da war. „Mehr sage ich nicht, weder zu Ihnen noch zu Julius. Es muss genügen, wenn ich versichere, ich hatte einen Halbbruder, der zweimal der Mann war, der ich bin. Er starb. So etwas kommt vor. Wir verfluchen Gott und zweifeln an seiner Existenz, wenn ein guter Mensch vor seiner Zeit stirbt. Trotzdem geschieht das allzu oft.“
Abigail dachte an ihre Mutter und vermochte dem nicht zu widersprechen. In Jamies Stimme hatte sie ein Bedauern gehört, das auch sie ihr ganzes Leben lang verspürt hatte. Obgleich das, was er berichtete, für sie schmerzlich war, wollte sie das Thema nicht wechseln, denn Jamie sprach jetzt mit ihr, wie er es noch nie zuvor getan hatte.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute zu den Lichtern der Stadt hinüber, die man jetzt vom Deck aus sehen
konnte. Der Potomac bildete eine ausladende Biegung an der Stelle, wo die Hauptstadt entstanden war. Eine meilenlange Holzbrücke verband hier Virginia mit
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