Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
immer noch, als der Raddampfer anlegte. Den Rückweg nach Georgetown brachten sie dann in eisigem Schweigen hinter sich. Helena dagegen plauderte munter drauflos, und Professor Rowan hörte ihr hilflos zu.
Als sie in der Dumbarton Street eintrafen, bestand Jamie darauf, den Trägern beim Hereinbringen des Gepäcks zu helfen, und blieb dann noch eine Weile im Gespräch mit Senator Cabot auf dem backsteingepflasterten Weg zwischen den beiden Häusern stehen. Nachdem Vater jetzt selbst gesehen hat, wie reich die Calhouns tatsächlich sind, betrachtet er Jamie mit größtem Wohlwollen und scheint auch dessen Eisenbahn-Anliegen gegenüber durchaus aufgeschlossen zu sein, dachte Abigail.
Diesen Gedanken verwarf sie jedoch gleich wieder, weil sie merkte, dass sie mit der Zeit ebenso zynisch wurde wie Jamie.
Während sie ihn und den Senator zusammen im Gespräch im dunstigen Licht der Gaslaterne beobachtete, stellte Abigail fest, dass ihre Empfindungen sich zunehmend verwirrten.
Zwar verfolgte sie das Ziel, sich Leutnant Butler geneigt zu machen, doch wann immer sie sich in Tagträumen erging, sah sie stets Jamies Gesicht mit den strahlenden Augen und dem lächelnden Mund vor sich, spürte, wie seine geschickten Hände nach ihr griffen, während er sie das Tanzen lehrte, ihr erklärte, wie sie das Kompliment eines Mannes entgegennehmen und was sie bei seinem Kuss auf Wangen und Lippen fühlen musste.
Es war in der Tat ungemein verwirrend; ihr Herz versprach sie dem einen Mann, und von dem anderen ließ sie sich die entsprechenden Anweisungen geben. Sie wünschte, sie könnte sich mit jemandem darüber unterhalten, und stellte zu ihrer Bestürzung fest, dass sie es Jamie Calhoun erzählen wollte. Und dabei machte er sie doch wütend, nahm kein Blatt vor den Mund, war sarkastisch und respektlos. Er behauptete, sie diene ihm ausschließlich dazu, die Verbindung zu ihrem Vater aufrechtzuerhalten, und dennoch war er der beste Freund, den sie hatte.
Er lachte sie aus und machte ihr klar, dass die Gefühle, die er hervorrief, nicht von herzlicher Zuneigung herrührten, sondern das Resultat geschickten Intrigierens waren und dass er im Übrigen die Ansicht vertrat, Freien und Werbung sei eine ebenso exakte Wissenschaft wie die Astronomie; wenn man ihre Prinzipien vernünftig anwandte, käme man unweigerlich ans Ziel.
Mit ihrem Verstand musste Abigail sich eingestehen, dass sie das freiwillige Opfer eines begnadeten Fachmanns war, eine Maus in einem Laboratorium, das Objekt empirischer Studien genau wie Sokrates in seinem gläsernen Käfig.
Bei der geräuschvollen Geschäftigkeit hatte man Abigail völlig vergessen, und sie folgte der kleinen Gruppe in das untere Foyer. Der Senator erteilte den Gepäckträgern seine Befehle und läutete dann nach Dolly, damit sie helfen käme. Helena und Professor Rowan standen flüsternd zusammen und schauten einander auf eine vertrauliche Weise an, die ihre Geheimnisse verriet - jedenfalls für Abigail. Die Träger drängten sich mit dem Gepäck vorbei; Abigail machte ihnen Platz und drückte sich gegen den Tisch im Flur.
Ohne darüber nachzudenken, hob sie einen Stapel Karten und Briefe von dem Silbertablett. Die erste Mitteilung stammte von Madame Broussard. Die Modeschöpferin hatte Abigails Gewänder fertig gestellt und war nun zur letzten Anprobe bereit.
Da die meiste Post für den Senator bestimmt war, legte Abigail sie zur Seite. Danach nahm sie den letzten Umschlag auf und öffnete ihn. Ihr stockte der Atem.
Niemand hatte ihren Schreck bemerkt, niemand außer Jamie, der anscheinend sehr genau über ihre Stimmung Bescheid wusste und sich nichts dabei dachte, sich in ihre geheimsten Gedanken zu drängen.
„Was steht denn in dem Brief?“ erkundigte er sich.
Abigail antwortete nicht, weil sie nicht zu sprechen vermochte, doch ihren großen Augen und ihren geröteten Wangen sah er deutlich an, was sie dachte. Mit tückischem Lächeln nahm er ihr das Papier aus der Hand und überflog die Zeilen.
„Oh du meine Güte, die Sache nimmt tatsächlich Gestalt an! Der Traumprinz kommt seine Liebste besuchen!“
DRITTER TEIL
19. KAPITEL
A m nächsten Morgen war der Himmel dunkelgrau, und kalter Nebel stieg auf. Unbeeindruckt von dem scheußlichen Wetter hielt Abigail einen großen schwarzen Seidenschirm in die Höhe und debattierte mit Jamie auf dem ganzen Weg zu dem Bekleidungsgeschäft auf der M Street.
„Wir müssen Leutnant Butler erklären, dass er nicht kommen
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