Calibans Krieg
wissen, dass Sie diese ersten Entwürfe lesen werden, ist das doch bedeutungslos. Sie werden einfach dafür sorgen, dass genau die richtigen Dinge durchsickern, um bei Ihnen den Eindruck zu erwecken, den Sie bekommen sollen.«
»Sehen Sie? Jetzt haben Sie es verstanden«, erklärte Soren. »Was Ihr Gegner Sie glauben machen will, gibt wichtige Hinweise auf das, was er denkt. Also besorgen Sie mir den ersten Entwurf, ja? Und erledigen Sie das, ehe der Tag vorbei ist.«
Aber mit mir spricht doch niemand mehr, weil ich jetzt das Schoßhündchen der UN bin, und selbst wenn ich keine Verräterin bin, ist es möglich, dass alle anderen mich dafür halten.
»In Ordnung.«
Bobbie nahm sich die ergänzte Namensliste vor und stellte die erste Verbindung her.
»Bobbie!«, rief Avasarala von ihrem Schreibtisch herüber. Es gab eine Reihe elektronischer Vorrichtungen, um Bobbies Aufmerksamkeit zu erregen, die Avasarala jedoch so gut wie nie benutzte. Die Marsianerin riss sich den Stöpsel aus dem Ohr und stand auf. Sorens süffisantes Grinsen war unheimlich. Das Gesicht veränderte sich überhaupt nicht.
»Madam?«, sagte Bobbie, sobald sie Avasaralas Büro betreten hatte. »Sie haben gebrüllt?«
»Klugscheißer sind hier nicht sehr beliebt.« Avasarala blickte nicht einmal von ihrem Handterminal auf. »Wo ist der erste Entwurf der Verlautbarung? Es ist fast Mittag.«
Bobbie richtete sich auf und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
»Madam, ich muss Sie leider darüber informieren, dass ich bisher niemanden finden konnte, der bereit war, mir eine frühere Fassung zu überlassen.«
»Haben Sie etwa gerade Haltung angenommen?«, sagte Avasarala, als sie endlich aufgeblickt hatte. »Jesus. Ich lasse Sie doch nicht zum Erschießungskommando marschieren. Haben Sie es bei allen Personen auf der Liste versucht?«
»Ja, ich …« Bobbie hielt kurz inne und holte tief Luft, dann ging sie ein paar Schritte weiter in das Büro hinein und sagte leise: »Sie reden alle nicht mehr mit mir.«
Die alte Frau zog eine schneeweiße Augenbraue hoch.
»Das ist interessant.«
»Wirklich?«, fragte Bobbie.
Avasarala lächelte sie warm und aufrichtig an und füllte aus der schwarzen eisernen Kanne zwei kleine Teetassen auf.
»Setzen Sie sich.« Sie deutete auf einen Stuhl neben ihrem Schreibtisch. Als Bobbie stehen blieb, sagte sie: »Verdammt noch mal, nun setzen Sie sich doch. Wenn ich fünf Minuten mit Ihnen geredet habe, brauche ich eine Stunde, bis die Krämpfe im Nacken nachlassen.«
Zögernd ließ Bobbie sich nieder und nahm eine kleine Teetasse entgegen. Sie war nicht größer als ein Schnapsglas, und der Tee war sehr dunkel und roch unangenehm. Sie trank einen kleinen Schluck und verbrannte sich prompt die Zunge.
»Das ist ein Lapsang Souchong«, klärte Avasarala sie auf. »Mein Mann kauft ihn immer für mich. Was halten Sie davon?«
»Ich glaube, er schmeckt wie Landstreicherfüße«, antwortete Bobbie.
»Nun ja, Arjun mag ihn, und wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, ist er gar nicht so schlecht.«
Bobbie nickte und trank wortlos einen weiteren Schluck.
»Na gut«, sagte Avasarala. »Sie sind die Marsianerin, die unglücklich war und von einer mächtigen alten Dame, die viele schöne Belohnungen zu bieten hat, auf die andere Seite gezogen wurde. Sie sind die schlimmste Art von Verräterin, die es gibt, denn letzten Endes konnte alles, was Ihnen seit Ihrer Ankunft auf der Erde zugestoßen ist, nur geschehen, weil Sie geschmollt haben.«
»Ich …«
»Halten Sie die Klappe, meine Liebe. Jetzt reden die Erwachsenen.«
Bobbie hielt die Klappe und trank den grässlichen Tee.
»Aber«, fuhr Avasarala fort, und nun tauchte das liebenswürdige Lächeln wieder auf, »wenn ich auf der anderen Seite stünde, was glauben Sie, wem ich Fehlinformationen zustecken würde?«
»Mir«, antwortete Bobbie.
»Genau. Denn Sie wollen Ihrem neuen Boss unbedingt Ihren Wert beweisen, und deshalb können Ihnen die anderen völlig falsche Informationen geben, ohne sich darum zu scheren, dass Sie damit auf lange Sicht alles vermasseln. Wenn ich bei der marsianischen Spionageabwehr wäre, dann hätte ich daheim längst einen Ihrer engsten Freunde rekrutiert und würde ihn benutzen, um Ihnen eine Masse falscher Daten zuzuspielen.«
Meine engsten Freunde sind alle tot, dachte Bobbie.
»Aber niemand …«
»Daheim will niemand mit Ihnen sprechen. Das bedeutet zweierlei. Sie versuchen immer noch herauszufinden, was ich im
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