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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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viel leichter, zu den alten Spielen und Verhaltensweisen zurückzukehren, zur Geschichte von Krieg und Konflikt, voll Täuschung und Tod. Das war trotz aller Schrecken wenigstens vertraut. Damit konnte man sich abfinden.
    Als Mädchen hatte sie einmal einen Film über einen Mann gesehen, der das Antlitz Gottes erblickt hatte. In der ersten Stunde des Films hatte er das langweilige Leben eines Menschen geführt, der an der Küste Südafrikas von der Grundversorgung gelebt hatte. Nach der Begegnung mit Gott hatte der Mann zehn Minuten lang geklagt. In der letzten Stunde hatte sich der Mann langsam erholt und das idiotische Leben wiederaufgebaut, das er am Anfang geführt hatte. Avasarala hatte den Film nicht gemocht. Inzwischen konnte sie die Handlung beinahe verstehen. Sich abzuwenden war natürlich. Selbst wenn man es als idiotisch, selbstzerstörerisch und sinnlos bewerten musste, es war menschlich.
    Krieg, Gemetzel, Tod. All die Gewalt, die Errinwright und seine Männer ausübten – Avasarala war sicher, dass es fast ausschließlich Männer waren –, lag nur deshalb so nahe, weil sie so beruhigend war. Die Männer hatten Angst.
    Nun ja, das galt auch für sie selbst.
    »Weicheier«, schimpfte sie und ließ die Aufzeichnung weiterlaufen.
    »Venus kann denken«, erklärte Michael-Jon anstelle einer Begrüßung oder irgendeiner höflichen Einleitung. »Ich habe ein Analyseteam auf die Daten und Signale angesetzt, die wir aus dem Netzwerk von Wasserläufen und elektrischen Strömen gewonnen haben, und wir haben tatsächlich eine Ordnung gefunden. Die Korrelation liegt bei lediglich sechzig Prozent, aber ich bin sicher, dass es sich nicht um einen Zufall handelt. Natürlich hat es eine andere Anatomie, aber die Funktionsweise entspricht recht genau der eines Wals, der über räumliche Zusammenhänge nachdenkt. Ich meine, wir können es immer noch nicht vollständig erklären, und viel mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen, aber ich bin ziemlich sicher, dass wir Denkvorgänge beobachtet haben. Es waren echte Gedanken, bei denen Neuronen aktiv geworden sind.«
    Er blickte in die Kamera, als erwartete er eine sofortige Antwort, und schien leicht enttäuscht, als nichts kam.
    »Ich dachte, das könnte Sie interessieren.« Damit schaltete er ab.
    Ehe sie eine Antwort formulieren konnte, ging eine neue Botschaft von Souther ein. Mit einem Gefühl der Dankbarkeit und Erleichterung, für das sie sich ein wenig schämte, öffnete sie die Datei.
    »Chrisjen«, begann er. »Wir haben ein Problem. Sie sollten die Abordnungen der Streitkräfte für Ganymed überprüfen und mir sagen, ob wir das Gleiche wahrnehmen.«
    Avasarala runzelte die Stirn. Die Verzögerung betrug inzwischen mehr als achtundzwanzig Minuten. Sie setzte eine Standardanfrage auf, schickte sie ab und stand auf. Ihr Rücken fühlte sich an wie ein einziger großer Knoten. Im Gemeinschaftsraum der Suite saßen Bobbie, Cotyar und drei weitere Männer im Kreis um ein Kartenspiel herum. Sie pokerten. Avasarala ging auf sie zu und wackelte mit den Hüften, um die Schmerzen zu vertreiben. Irgendwie taten ihre Gelenke gerade in der niedrigen Schwerkraft besonders weh. Sie ließ sich neben Bobbie nieder.
    »In der nächsten Runde steige ich ein«, sagte sie.
    Der Befehl war von Nguyen gekommen und wirkte auf den ersten Blick völlig sinnlos. Sechs UN-Zerstörer waren vom Patrouillendienst vor Ganymed abgezogen und mit hoher Beschleunigung auf einen Kurs geschickt worden, der anscheinend ins Nichts führte. Den ersten Berichten nach hatte sich ein ähnliches Geschwader marsianischer Schiffe nach gebührender Denkpause an sie drangehängt.
    Nguyen führte etwas im Schilde, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, was es war. Aber Souther hatte ihr die Hinweise gegeben, weil er dachte, sie könne etwas entdecken.
    Es dauerte eine ganze Stunde, bis sie darauf kam. Holdens Rosinante war von der Tycho-Station abgeflogen und mit geringem Schub ins Jupiter-System unterwegs. Vielleicht war er im Auftrag der AAP unterwegs, doch er hatte weder die Erde noch den Mars informiert, und dies bedeutete, dass Nguyen ihn ebenfalls beobachtete.
    Sie hatten nicht nur Angst. Sie wollten ihn töten.
    Avasarala saß einen langen Moment schweigend da, ehe sie aufstand und zum Spiel zurückkehrte. Cotyar und Bobbie waren am Ende einer Runde mit hohen Einsätzen. Der Stapel kleiner Schokoladenhäppchen, die sie als Einsatz benutzten, war fast fünf Zentimeter hoch.
    »Mister Cotyar«, sagte

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