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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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Wohin denn? Es bedeutet doch wohl nicht, dass das Baby gestorben ist?«, sagte ich.
    Schwester Julienne wendete die Karte mehrmals in ihrer Hand und sagte schließlich: »Nein, ich glaube, wenn das Baby gestorben wäre, hätte sie TOD geschrieben. Sie fahren an Ihrem freien Tag am besten mal hin, denn das möchte sie ja offenbar.«
    Die Zugfahrt nach Kent erschien mir länger und mühsamer als beim ersten Mal. Keine glücklichen Gedanken ließen die Zeit schneller verstreichen. Ich war verwirrt und hatte das unangenehme Gefühl, dass sich Unheil anbahnte.
    Das Heim für Mütter und Babys sah aus wie zuvor: ein schönes offenes Gelände, Kinderwagen im ganzen Garten verteilt, lächelnde junge Frauen, Nonnen, die ihrer Arbeit nachgingen. Ich trat ein und wurde in ein Wohnzimmer gebeten.
    Ich war erschüttert, als ich Mary sah. Sie sah entsetzlich aus: Ihr Gesicht war geschwollen, rot und fleckig und sie hatte breite Ringe unter den Augen. Sie starrte mich zwar an, konnte aber nichts sehen. Ihr Haar war zerzaust, ihre Kleider zerrissen. Ich stand in der Tür und sah sie an, aber sie erkannte mich nicht. Stattdessen sprang sie auf, rannte zum Fenster und begann mit den Fäusten gegen das Glas zu hämmern, wobei sie nicht aufhörte zu stöhnen. Dann rannte sie zur gegenüberliegenden Wand und schlug ihre Stirn dagegen. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah.
    Ich ging zu ihr hinüber und sagte laut: »Mary.« Mehrfach wiederholte ich ihren Namen. Sie drehte sich um und erkannte mich schließlich. Dann stieß sie einen kleinen Schrei aus. Sie packte mich und versuchte zu sprechen, doch es kamen keine Wörter heraus.
    Ich führte sie zu einem Sofa und setzte sie hin.
    »Was ist los?«, fragte ich. »Was ist passiert?«
    »Sie haben mir mein Baby weggenommen.«
    »Wo ist es jetzt?«
    »Ich weiß nicht. Sie wollen es mir nicht sagen.«
    »Wann war das?«
    »Ich weiß nicht. Aber sie ist weg. Morgens war sie nicht mehr da.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Was soll man auf solch schreckliche Nachrichten schon erwidern? Wir sahen einander stumm vor Verzweiflung an, dann winselte sie vor Schmerzen und der Schmerz schien ihren gesamten Körper zu erfassen. Sie riss die Arme hoch und ließ sich rückwärts in die Kissen fallen. Ich erkannte das Problem sofort. Sie hatte ihr Kind gestillt, und da nun kein Baby mehr Milch aus ihren Brüsten saugte, waren sie grässlich angeschwollen. Ich lehnte mich vor und öffnete ihre Bluse. Beide Brüste waren riesengroß und hart wie Stein und die linke war knallrot und heiß. Sie kann einen Brustabszess bekommen, dachte ich, ja, wahrscheinlich hat sie schon einen.
    Sie stöhnte: »Es tut so weh«, und biss die Zähne zusammen, um nicht schreien zu müssen.
    Meine Gedanken rasten. Was um Himmels willen war geschehen? Ich konnte nicht glauben, dass man Mary ihr Baby weggenommen hatte. Als die Schmerzen sich allmählich wieder legten, sagte ich: »Ich gehe gleich mal zur Oberin.«
    Sie packte meine Hand. »Ja, bitte. Ich wusste, dass du mir mein Baby zurückbringst.«
    Sie lächelte und mit einem Mal füllten sich ihre Augen mit Tränen, sie vergrub ihr Gesicht in einem Kissen und begann mitleiderregend zu schluchzen.
    Ich ging und fragte nach dem Büro der Oberin.
    Das Zimmer war spartanisch eingerichtet: ein Schreibtisch, zwei Holzstühle und ein Schrank. Die Wände waren weiß und nur ein schlichtes Kruzifix hing vor der ansonsten glatten Oberfläche. Die Schwester Oberin trug ein fast völlig schwarzes Habit, nur der Schleier war weiß. Sie war offenbar mittleren Alters und hatte ein sehr hübsches Gesicht. Sie schaute mich ernst und offen an. Ich spürte sofort, dass wir miteinander reden konnten.
    »Wo ist Marys Baby?«, fragte ich sie forsch.
    Die Oberin sah mich geradeheraus an, bevor sie antwortete: »Das Baby wurde zur Adoption freigegeben.«
    »Ohne Einwilligung der Mutter?«
    »Eine Einwilligung ist nicht nötig. Das Kind ist ja erst vierzehn.«
    »Fünfzehn«, sagte ich.
    »Vierzehn oder fünfzehn ist nicht entscheidend. Nach dem Gesetz ist sie noch ein Kind und die Zustimmung spielt keinerlei Rolle.«
    »Aber wie können Sie ihr denn bloß so ganz ohne Ankündigung einfach ihr Baby wegnehmen? Das bringt sie doch um.«
    Die Oberin seufzte. Sie saß kerzengerade da, nicht angelehnt und hielt die Hände unter ihrem Skapulier gefaltet. Sie wirkte zeitlos, alterslos, gnadenlos. Einzig das Kreuz auf ihrer Brust bewegte sich im Rhythmus ihrer Atmung. Ohne die Stimme zu erheben,

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