Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
allgemeines Desinteresse. Wir zogen ihren Arzt hinzu. Flo unternahm heldenhafte Anstrengungen, sie aus diesem Zustand zu befreien, und nahm sie mit, um Babykleider und allerlei Zubehör einzukaufen. Tom machte sich große Sorgen und betüddelte sie hinten und vorne, wenn er zu Hause war, aber da er oft so lange arbeitete – noch länger als sonst, um all die Babysachen bezahlen zu können –, hatte Flo, eine fürsorgliche Mutter von ganzem Herzen, die größte Last zu tragen.
Bellas Wehen setzten genau zur berechneten Zeit ein. Wenn ihre Angaben stimmten, war sie weder zu früh noch zu spät dran. Ihre Mutter rief uns um die Mittagszeit an und berichtete, dass die Wehen im Zehnminutenabstand kämen und dass sie eine Zeichnungsblutung gehabt habe. Ich aß mein Mittagessen zu Ende und nahm vorsorglich zwei Portionen Pudding als Vorrat mit, falls ich den Tee versäumen sollte. Eine Erstschwangere, die alle zehn Minuten Wehen hat, ist kein Notfall.
Gemütlich radelte ich zu Bella. Flo erwartete mich an der Tür und begrüßte mich. Es war ein sonniger Nachmittag, aber sie sah besorgt aus. »Sie is immer noch so, wie ichs erzählt hab, unverändert, das gefällt mir nich. Da is was. Sie is nich sie selbst. Das is alles nich normal.«
Wie die meisten Frauen ihrer Generation war Flo eine erfahrene Amateurhebamme.
Bella saß im Wohnzimmer auf dem neuen Sofa. Ihre Nägel gruben sich in das Polster, sie zupfte kleine Stückchen aus der Füllung. Als ich eintrat, betrachtete sie mich mit stumpfem Blick und knirschte mit den Zähnen. Auch als sie sich wieder weggedreht hatte, knirschte sie noch eine Weile weiter. Sie sagte kein Wort.
Ich sagte: »Ich muss dich untersuchen, Bella, wenn die Wehen eingesetzt haben. Ich muss wissen, wie weit du schon bist und in welcher Position das Baby liegt, und ich muss mir seine Herztöne anhören. Kommst du bitte mit ins Schlafzimmer?«
Sie bewegte sich nicht. Das Sofa büßte noch mehr von seiner Füllung ein. Flo versuchte, sie zum Aufstehen zu bewegen. »Komm schon, Liebes, jetzt dauerts nich mehr lang. Wir müssen jetz zusammen da durch, aber es is ganz schnell vorbei. Wirst schon sehn. Komm jetz, auf, ins Schlafzimmer.«
Sie wollte ihrer Tochter aufhelfen, wurde aber grob zur Seite gestoßen. Fast verlor Flo ihr Gleichgewicht und wäre um ein Haar gestürzt. Ich musste durchgreifen.
»Bella, steh sofort auf und komm mit mir ins Schlafzimmer. Ich muss dich untersuchen.«
Sie wirkte wie ein kleines Kind, das weiß, wann es zu gehorchen hat, und kam schweigend mit mir.
Ihr Muttermund war zwei bis drei fingerbreit geöffnet, der Fötus befand sich, soweit ich es ertasten konnte, mit dem Kopf nach unten in einer normalen vorderen Hinterhauptslage und die Fruchtblase war noch intakt.
Das Herz des Fötus hatte einen gleichmäßigen Puls von 120. Auch Bellas Puls und ihr Blutdruck waren in Ordnung. Alles schien völlig unauffällig, wäre da nicht ihr eigenartiger Geisteszustand gewesen, den ich mir nicht erklären konnte. Das Zähneknirschen dauerte während der gesamten Untersuchung an und ging mir auf die Nerven.
Ich sagte: »Ich gebe dir jetzt ein Beruhigungsmittel, und es wäre das Beste, wenn du im Bett bleibst und ein paar Stunden schläfst. Die Wehen werden auch im Schlaf weiter kommen und du wirst Kraft für später schöpfen.«
Flo stimmte mir weise nickend zu.
Ich legte mein Entbindungsbesteck zurecht und bat Flo, im Nonnatus House anzurufen, sobald die Wehen in fünfminütigen Abständen kämen, oder auch früher, falls sie sich Sorgen mache. Beruhigt bemerkte ich, dass es in der Wohnung ein Telefon gab. Vielleicht brauchen wir es noch, dachte ich mit Blick auf Bellas geistigen Zustand. Ein postpartales Delirium ist eine seltene, beängstigende Symptomatik, die nach der Entbindung auftreten kann und schnell und gezielt behandelt werden muss.
Das Telefon klingelte gegen acht Uhr abends. Toms Stimme bat mich zu kommen. Zehn Minuten später war ich dort, er ließ mich hinein. Er wirkte angespannt, aber voll freudiger Erregung.
»Jetzt ists also so weit, Schwester. Mann, ich hoff, sie wirds gut überstehn un das Baby auch. Ich kanns kaum erwarten, mein kleines Baby zu sehn, Schwester. Es is echt was Besonderes. Bell war ja in letzter Zeit ’n bisschen niedergeschlagen, aber sie wird sicher wieder munter, wenn sie das Baby sieht, oder?«
Als ich ins Schlafzimmer kam, setzte bei Bella gerade eine Wehe ein. Sie war heftig. Bella stöhnte vor Schmerzen. Ihre Mutter wischte
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