Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
»Jetzt dreh dich auf die linke Seite und tu genau, was ich dir sage. Das Baby kommt in den nächsten Minuten. Ich möchte vermeiden, dass du einen Dammriss oder Blutungen bekommst, also mach genau, was ich dir sage.«
Sie war ganz ruhig und kooperativ. Die Entbindung verlief optimal.
Das kleine Mädchen war völlig weiß und Tom wie aus dem Gesicht geschnitten. Sein Vater nannte es seinen Augenstern und sein Großvater vergötterte es. Seine Großmutter war so weise, die Geheimnisse des Geburtszimmers für sich zu behalten.
Ich war die einzige außerhalb der Familie, die Bescheid wusste. Bis heute habe ich niemandem davon erzählt.
Gemischter Abstammung II
Die Smiths waren eine durchschnittliche, angesehene East-End-Familie und kamen in der Ehe leidlich miteinander aus. Cyril arbeitete als erfahrener Lotse in den Docks und Doris bei einem Friseur, da ihre fünf Kinder nun zur Schule gingen. Sie hatten keine Geldsorgen, dennoch fuhren sie in den Ferien immer zur Hopfenernte nach Kent. Cyril und Doris hatten bereits als Kinder gerne ihre Ferien auf diese Weise verbracht. Ihre Kinder wiederum genossen die gesunde Landluft, die Kameradschaft der anderen Kinder und den Platz zum Herumlaufen. Außerdem freuten sie sich, dass sie sich ein wenig Taschengeld verdienten, indem sie ihre Körbe mit Hopfen füllten. Jahr für Jahr traf die Familie die gleichen Leute aus anderen Londoner Stadtteilen wieder und jedes Jahr wurden neue Freundschaften geschlossen und die alten aufgefrischt.
Jede Familie musste Bettzeug, Benzinkocher und Kochgeschirr selbst mitbringen. Sie bekamen entsprechend ihrer Größe ausreichend Platz in Scheunen oder Schuppen zugewiesen und lebten dort für vierzehn Tage. Essen gab es im Hofladen zu kaufen. Manche brachten Zelte mit und campten. Die Erwachsenen arbeiteten den ganzen Tag auf den Feldern und ernteten Hopfen, wofür sie bezahlt wurden, und die meisten Kinder machten mit. In den 1950er-Jahren war die Armut nicht mehr so groß wie noch in früheren Generationen und die meisten hatten das dürftige Entgelt, euphemistisch »Lohn« genannt, nicht mehr nötig. In vergangenen Jahren hatten die Kinder noch vom Morgen bis zum Sonnenuntergang arbeiten müssen, um zum Einkommen ihrer Eltern ein paar Pence hinzuzuverdienen, die der Familie über den Winter halfen. Außerdem hatten die Ferien bei der Hopfenernte viele Kinder des East Ends gerettet, denn sie waren in der Sonne, was Rachitis vorbeugte.
In den 1950er-Jahren durften die Kinder inzwischen spielen gehen und halfen nur bei der Ernte, wenn sie wollten. Auf den meisten Farmen floss ein Bach oder ein kleiner Fluss über das Gelände und wurde zum Mittelpunkt vieler lustiger Kinderspiele. An den Abenden verbrachte die ganze Feriengesellschaft schöne Stunden, in denen sie draußen am Feuer saßen, Lieder sangen, flirteten, sich Geschichten erzählten und sich vorstellten, Landbewohner und keine Städter mehr zu sein.
Vor dem Krieg waren die Erntehelfer fast ausschließlich East Ender, Roma und Landstreicher. Als nach dem Krieg die Menschen auf der ganzen Welt mobiler wurden, nahm auch die Vielfalt der Menschen zu, die jedes Jahr auf den Höfen auftauchten. (Schließlich bereiteten Erntemaschinen dieser Betätigung ein Ende.)
Doris und Cyril ließen sich mit ihren Kindern im Schuppen auf dem zwei mal zwei Meter großen, mit Kreide markierten Platz am Boden nieder, der ihnen zugewiesen worden war. Mit den zur Verfügung gestellten Strohsäcken zum Schlafen, ihrem Benzinkocher und einem Windlicht galt die Unterbringung als bequem und gemütlich. In diesem Jahr war eine Menge neuer Leute auf den Hof gekommen, unter ihnen auch als große Überraschung mehrere Familien aus der Karibik. Doris verhielt sich zunächst reserviert. Sie hatte noch nie zuvor dunkelhäutige Menschen kennengelernt oder mit ihnen gesprochen, geschweige denn mit ihnen in der gleichen Scheune geschlafen, doch die Kinder freundeten sich untereinander sofort an, wie es bei Kindern üblich ist. Die Frauen waren freundlich und lachten viel und so bemerkte Doris schnell, wie ihre Vorbehalte dahinschmolzen.
Die Ferien öffneten Doris und Cyril sogar richtiggehend die Augen. Nie zuvor war ihnen aufgefallen, welche Freude diese Leute verbreiten konnten. Die Menschen des East Ends gelten als gut gelaunt, aber verglichen mit denen aus der Karibik wirkten sie geradezu sauertöpfisch. Doris und Cyril lachten den ganzen Tag lang und spürten kaum, wie hart die Arbeit auf den Hopfenfeldern
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