Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
Vom Netzwerk:
die Bewohner zuvor täglich hatten leeren müssen. Die Frauen hatten sie nach unten gebracht und in Tröge ausgeleert. Der Gestank in den Innenhöfen war damals abscheulich, wie man mir erzählt.
    Die Wohnblocks des Londoner East Ends wurden in den 1850er-Jahren als Wohnraum für die Werftarbeiter und ihre Familien errichtet. Damals hatte man sie wahrscheinlich als angemessene Behausung betrachtet. Mit Sicherheit waren sie eine deutliche Verbesserung gegenüber den Lehmhütten, an deren Stelle sie traten und die einer Familie kaum Schutz vor Wind und Wetter geboten hatten. Die Wohnblocks bestanden aus Ziegelmauern und einem Schieferdach, durch das kein Regen drang. Ich zweifle nicht, dass sie zu ihrer Zeit als luxuriös galten. Eine Familie aus zehn, zwölf Personen in zwei oder drei Zimmern, das hätte man nicht als beengt empfunden. Schließlich hat die Menschheit im Lauf der Geschichte überwiegend in ähnlichen Verhältnissen gelebt.
    Doch die Zeiten ändern sich und in den 1950er-Jahren galten die Wohnblocks als Elendsviertel. Die Mieten waren weit niedriger als in den Reihenhäusern und so zogen nur die ärmsten Familien, die es im Leben am schwersten hatten, hier ein. Es scheint eine Art Gesetzmäßigkeit zu sein, dass oft die ärmsten Familien die meisten Kinder hervorbringen, und auch in den Wohnblocks waren sie überall. Infektionen verbreiteten sich wie Flächenbrände und mit Schädlingen und Parasiten war es ähnlich: Es gab Flöhe, Kopfläuse, Zecken, die Krätze, Filzläuse, Mäuse, Ratten und Kakerlaken. Die Kammerjäger der Stadtverwaltung hatten alle Hände voll zu tun. Schließlich wurden die Wohnblocks zu ungeeigneten Behausungen erklärt und in den Sechzigerjahren mussten alle Bewohner dort ausziehen. Die Gebäude standen mehr als zehn Jahre leer, bis sie 1982 schließlich abgerissen wurden.
    Edith war klein und drahtig und zäh wie ein alter Stiefel. Sie sah viel älter aus als vierzig und hatte sechs Kinder großgezogen. Während des Kriegs war ihre Familie, die in einem Reihenhaus gelebt hatte, ausgebombt worden, aber da es kein direkter Treffer gewesen war, hatten alle überlebt. Die Kinder wurden anschließend evakuiert. Ihr Mann war Werftarbeiter, sie hatte eine Stelle in einer Munitionsfabrik. Nach dem Bombenangriff zog sie mit ihrem Mann in einen Wohnblock, wo die Miete billiger war. Beide überlebten weitere Bombardements, denn wie durch ein Wunder wurden die Wohnblocks, wo damals die Bevölkerungsdichte am größten war, nicht getroffen. Ihre Kinder sah Edith fünf Jahre lang nicht, doch 1945 war die Familie wieder vereint. Wegen der niedrigen Miete und weil sie sich an die Verhältnisse gewöhnt hatten, blieben sie im Wohnblock. Wie irgendjemand mit sechs heranwachsenden Kindern in zwei Zimmern zurechtkommt, war immer jenseits meiner Vorstellungskraft, aber sie schafften es und dachten sich nichts dabei.
    Sie hatte sich nicht gefreut, als sie wieder schwanger geworden war, ja, sie war sogar wütend, aber wie die meisten Frauen, die spät noch einmal ein Kind bekommen, war sie völlig vernarrt in das kleine Wesen, als es zur Welt kam, und hörte nicht auf, ihm etwas vorzusummen. Die ganze Wohnung hing voller Windeln – Wegwerfwindeln waren damals noch nicht erfunden – und der Kinderwagen nahm in dem ohnehin vollgestellten Zimmer noch zusätzlich Platz weg.
    Edith war aufgestanden und kümmerte sich um den Haushalt. In dieser Zeit verordneten wir den Müttern nach der Entbindung noch eine längere Bettruhe – sie verbrachten zehn bis vierzehn Tage im »Wochenbett«. Aus medizinischer Sicht ist das nicht empfehlenswert, denn es ist viel besser, wenn eine Frau so bald wie möglich wieder aufsteht und sich bewegt, weil so das Risiko von Thrombosen oder ähnlichen Beschwerden geringer ist. Doch damals wusste man das noch nicht und es war gängige Praxis, dass die Frau nach der Geburt das Bett hütete. Der große Vorteil war, dass sie so ein wenig wohlverdiente Ruhe genießen konnte. Andere kümmerten sich um den Haushalt und für kurze Zeit konnte sie sich ein wenig Müßiggang gönnen. Sie musste wieder zu Kräften kommen, denn sobald sie auf den Beinen war, war sie wieder für alles verantwortlich. Wenn man sich vor Augen führt, wie körperlich anstrengend es war, alle Einkäufe die Treppen hinaufzutragen – im Winter dazu noch Kohle und Holz und Öl für den Ofen –, und dass der Müll wieder zu den Tonnen im Innenhof gebracht werden musste; und wenn man bedenkt, dass man, um mit

Weitere Kostenlose Bücher