Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
Gefühl des Unbehagens und der Unentschlossenheit war wie weggeblasen, wir grinsten einander an und waren bereits Freundinnen. Ich beschloss zu bleiben.
Später am Abend wurde ich in Schwester Juliennes Büro gerufen. Mit Angst im Bauch ging ich zu ihr, denn ich erwartete, dass sie mir wegen des Kuchens gehörig den Kopf waschen würde. Nachdem ich vier Jahre lang die Tyrannei der Krankenhaushierarchie ertragen hatte, rechnete ich mit dem Schlimmsten und biss bereits die Zähne zusammen.
Schwester Julienne war klein und rundlich. Sie hatte an diesem Tag wahrscheinlich bereits fünfzehn, sechzehn Stunden gearbeitet, aber sie wirkte frisch wie der Tau. Ihr strahlendes Lächeln gab mir Selbstvertrauen und vertrieb meine Angst. Ihre ersten Worte waren: »Über den Kuchen wollen wir kein Wort mehr verlieren.«
Ich atmete vor Erleichterung tief durch und Schwester Julienne lachte laut auf. »Jede von uns hat in Gesellschaft von Schwester Monica Joan bereits seltsame Dinge erlebt. Aber ganz sicher wird niemand die Sache je wieder erwähnen. Nicht einmal Schwester Evangelina.«
Sie betonte die letzten Worte und so begann auch ich zu lachen. Sie hatte mich völlig überzeugt und ich war froh, nicht überstürzt weggelaufen zu sein.
Ihre nächsten Worte überraschten mich: »Welchem Glauben gehören Sie an, Schwester?«
»Also … äh … keiner … also … äh, methodistisch – glaube ich.«
Die Frage schien mir erstaunlich, unerheblich, ja fast schon dumm. Dass sie mich zu meiner Schullaufbahn, zu meiner Ausbildung, zu meiner Krankenpflegeerfahrung und meinen Zukunftsplänen befragte – all das hätte ich erwartet. Aber mein Glaube? Was hatte Religion mit all dem zu tun?
Sie wurde sehr ernst und sagte dann sanft: »Jesus Christus ist unsere Stärke und unser Vorbild. Vielleicht kommen Sie ja gelegentlich dazu, wenn wir sonntags Gottesdienst feiern.«
Anschließend erläuterte mir Schwester Julienne meine bevorstehende Ausbildung und den Tagesablauf im Nonnatus House. Ich sollte drei Wochen lang bei allen Besuchen unter der Aufsicht einer ausgebildeten Hebamme stehen und dann selbst Aufgaben in der prä- und postnatalen Pflege übernehmen. Bei allen Geburten würde mir eine Hebamme auf die Finger schauen. Unterricht im Klassenzimmer fand einmal pro Woche abends nach der Arbeit statt. Lernen und Wiederholen konnten wir in unserer Freizeit.
Sie saß ruhig auf ihrem Stuhl und erläuterte weitere Einzelheiten, die mir fast alle zum einen Ohr herein- und zum anderen wieder hinausgingen. Ich hörte nicht richtig zu, sondern dachte über sie nach und warum ich mich in ihrer Gesellschaft so wohl und glücklich fühlte.
Eine Glocke läutete. Sie lächelte. »Zeit zum Komplet. Ich muss gehen. Wir sehen uns morgen früh wieder. Ich wünsche Ihnen eine geruhsame Nacht.«
Der Eindruck, den Schwester Julienne auf mich machte – und wie ich herausfand, ging es den meisten ähnlich –, stand in keinem Verhältnis zu ihrem Erscheinungsbild oder dem, was sie sagte. Sie trat nicht eindrucksvoll, bestimmend oder auf irgendeine Art fesselnd auf. Sie war noch nicht einmal außergewöhnlich schlau. Doch irgendetwas strahlte sie aus und ich konnte mir noch so sehr den Kopf zerbrechen, ich begriff nicht, was es war. Damals kam mir nicht in den Sinn, dass zu ihrer Ausstrahlung eine spirituelle Seite gehörte, die nichts mit der diesseitigen Welt zu tun hatte.
Morgenbesuche
Als ich nach Muriels Entbindung gegen sechs Uhr morgens wieder im Nonnatus House ankam, hatte ich einen Bärenhunger. Nichts bereitet einem jungen Menschen solchen Appetit wie eine durchgearbeitete Nacht und sechs oder acht Meilen auf dem Fahrrad. Im Haus war alles still, als ich hineinging. Die Nonnen waren in der Kapelle und das Laienpersonal war noch nicht aufgestanden. Ich war müde, aber mir war klar, dass ich noch meine Entbindungstasche aufräumen, meine Instrumente abwaschen und sterilisieren, meine Aufzeichnungen vervollständigen und sie auf den Schreibtisch im Büro legen musste, bevor ich essen durfte.
Im Speisesaal stand Frühstück bereit und ich wollte zuerst essen und mich dann für ein paar Stunden hinlegen. Ich räuberte die Speisekammer aus. Eine Kanne Tee, gekochte Eier, selbst gemachte Stachelbeermarmelade, Cornflakes, selbst gemachter Joghurt und Scones. Das Paradies! Wie ich entdeckt hatte, gibt es bei Nonnen immer viele selbst gemachte Lebensmittel. Die eingemachten Sachen kamen von den vielen Basaren in der Gemeinde und wurden offenbar
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