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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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und schrill. Das irritierende Kichern, so merkte ich jetzt, war nichts als der Ausdruck ihrer beständigen, unbezwingbaren guten Laune. Zwar schubste sie ihre Kinder herum, doch sie wurde nie ruppig dabei.
    »Geh mal aus’m Weg, du kleiner Scheißer. Die Schwester kommt nich durch.« Sie drehte sich zu mir um. »Bitteschön. Da kannst du dein Zeug hinlegen.«
    Sie hatte sich die Mühe gemacht, eine Ecke des Tischs frei zu räumen und eine Waschschüssel, Seife und ein schmutziges Handtuch danebengelegt.
    »Dachte, du brauchst vielleicht ’n nettes, sauberes Handtuch, was, Liebes?«
    Alles ist relativ.
    Ich stellte meine Tasche auf den Tisch, nahm jedoch nur Spritze, Nadel, Ampulle, Handschuhe und einen Wattetupfer heraus, der in Alkohol getränkt war. Die Kinder waren wie gebannt.
    »Weg da oder es gibt eins hinter die Ohren«, rief Lil fröhlich. Und dann zu mir: »Willste mein Bein oder meinen Arsch?«
    »Das ist egal. Wie es dir lieber ist.«
    Sie hob ihren Rock hoch und beugte sich vor. Der riesige, runde Hintern wirkte wie ein eindeutiges Zeichen der Solidarität. Die Kinder rissen die Augen auf und drängten näher heran. Mit einem schrillen Lachen trat Lil aus wie ein Pferd.
    »Scheiße, habt ihr so was etwa noch nie gesehn?«
    Sie brüllte vor Lachen und der Hintern wackelte so sehr, dass eine Injektion unmöglich war.
    »Stopp, jetzt bitte mal auf die Stuhllehne stützen und einmal kurz stillhalten.« Auch ich musste lachen.
    Sie hielt still und nach nicht einmal einer Minute war die Injektion erledigt. Ich rieb fest über die ganze Hautfläche, um die Flüssigkeit gut zu verteilen, denn die Dosis war sehr stark. Ich legte alles in eine braune Papiertüte, um die Instrumente separat zu transportieren. Dann wusch ich mir die Hände und trocknete sie an ihrem Handtuch ab, nur um ihr einen Gefallen zu tun. Wir hatten immer unser eigenes Handtuch dabei, aber ich dachte, dass es zu benutzen eine allzu offensichtliche Zurückweisung wäre.
    Sie brachte mich zur Tür und alle Kinder kamen mit uns auf die Galerie. »Bis morgen dann. Ich freu mich, dass du kommst. Ich mach dir ne schöne Tasse Tee.«
    Ich radelte davon und musste über vieles nachdenken. In ihrer eigenen Umgebung war Lil keine widerliche alte Schlampe, sondern eine Heldin. Sie hielt die Familie in grässlichen Lebensumständen beisammen und trotz allem wirkten die Kinder glücklich. Sie war heiter und beklagte sich nicht. Wie sie sich mit der Syphilis angesteckt hatte, ging mich nichts an. Ich war dazu da, die Krankheit zu behandeln, und nicht, über Lil zu richten.
    Bei meinem Besuch am nächsten Tag war ich so sehr damit beschäftigt zu überlegen, wie ich den angebotenen Tee ablehnen könnte, dass ich blöde und perplex vor mich hin starrte, als die Tür aufging und dort eine Lil stand, die nicht Lil war. Sie sah ein wenig kleiner und dicker aus, es waren die gleichen Pantoffeln, die gleichen Lockenwickler, die gleiche Kippe – aber irgendetwas war anders.
    Ein vertrautes schrilles Lachen brachte einen zahnlosen Mund zum Vorschein. Sie pikste mir in den Bauch. »Sie denken jetz, ich wär Lil, was? Alle denken das. Ich bin ihre Mum. Wir sehn aus wie Zwillinge. Lil hat ne Fehlgeburt gehabt un liegt im Krankenhaus. Gut so, find ich. Sie hat mit zehn schon genug, un er is ja auch immer weg.«
    Durch ein paar Fragen bekam ich die ganze Geschichte heraus. Lil hatte sich, kurz nachdem ich am Tag zuvor gegangen war, krank gefühlt und sich später übergeben. Sie hatte sich ins Bett gelegt und eines der Kinder losgeschickt, um die Oma zu holen. Wehen hatten eingesetzt und sie hatte sich noch einmal übergeben. Dann muss sie ohnmächtig geworden sein.
    Die Oma sagte zu mir: »Mit ner Fehlgeburt komm ich noch klar, aber nich mit ner toten Frau. Nee, Leute!«
    Sie hatte einen Arzt gerufen und Lil war sofort ins London Hospital eingeliefert worden. Später erfuhren wir, dass man einen mazerierten Fötus entfernt hatte. Er war wahrscheinlich bereits seit drei oder vier Tagen tot gewesen.

Rachitis
    Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, dass es bis ins vergangene Jahrhundert hinein keinerlei spezialisierte geburtsmedizinische Vorsorge während der Schwangerschaft gab. Erst wenn die Wehen einsetzten, suchten die Frauen einen Arzt oder eine Hebamme auf. Daher waren Unglücksfälle, die für die Mutter, das Kind oder beide tödlich endeten, an der Tagesordnung. Solche tragischen Fälle wurden als Wille Gottes betrachtet, dabei waren sie die logische Folge

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