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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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Verhöhnung, Frauen, die Geburten betreuen, Hebammen zu nennen. In Frankreich, Deutschland und sogar in Russland würde man das, was man hier tut, als Totschlag bezeichnen. In diesen Ländern gibt es Regelungen der Regierung – bei uns hingegen arbeitet jede als private Unternehmerin.« Das Geld, das die Ärzte mit Geburten verdienten, stellte einen bedeutenden Teil ihrer Einkünfte dar. Sie stemmten sich gegen die Bedrohung, von ausgebildeten Hebammen unterboten zu werden. Dass jährlich Tausende von Frauen und Babys starben, weil man sich unzureichend um sie kümmerte, spielte keine Rolle.
    Doch schließlich setzten sich die mutigen, fleißigen Frauen mit ihrem Einsatz durch. 1902 wurde in Großbritannien das Gesetz über den Hebammenberuf verabschiedet und 1903 stellte das Central Midwives Board der ersten ausgebildeten Hebamme ihr Zertifikat aus. Fünfzig Jahre später war ich stolz darauf, als Nachfolgerin dieser wunderbaren Frauen, mit den Fertigkeiten, die ich in meiner Ausbildung gelernt hatte, den fröhlichen, unverwüstlichen Bewohnerinnen der Londoner Docklands mit ihrer langen Leidensgeschichte dienen zu können.
    Wieder einmal hatten wir unsere Vorsorgepraxis in der einstigen Kirche geöffnet. Es war mitten im Winter, im Koksofen brannte ein wild loderndes Feuer. Auf allen vier Seiten war er zum Schutz der zahlreich umherlaufenden Kinder sorgfältig abgeschirmt. Während der vergangenen vierzehn Tage war mir Lil – mit einer seltsamen Mischung aus Abscheu und Bewunderung – immer wieder in den Sinn gekommen. Während ich sie dafür bewunderte, wie sie zurechtkam, hoffte ich doch, ihr nie wieder begegnen zu müssen – zumindest nicht auf dieser intimen Ebene zwischen Patientin und Hebamme.
    Angesichts des Aktenstapels auf dem Schreibtisch versprach es ein arbeitsamer Nachmittag zu werden – keine Zeit, über Lil und ihre Syphilis zu brüten. Da lagen sieben Stapel und jeder bestand aus etwa zehn Mappen. Arbeit bis sieben Uhr, wenn wir Glück hatten.
    Ich warf einen Blick auf den ersten Stapel und sah Brendas Namen. Sie war eine 46-jährige Frau mit Rachitis. Sie sollte ins Krankenhaus überwiesen werden, wo ein Kaiserschnitt vorgenommen werden sollte, und sie war bereits im London Hospital in Whitechapel angemeldet, doch um die Vorsorge kümmerten wir uns. Sie humpelte herein, pünktlich auf die Minute zu ihrem Termin um zwei Uhr. Ich saß am Schreibtisch und die anderen hatten gerade keine Zeit, also übernahm ich die Untersuchung.
    Ich war voller Mitgefühl für die kleine Brenda. Rachitis zeigt sich in einer Deformation der Knochen. Jahrhundertelang kannte man die Ursache dieser Krankheit nicht. Man glaubte, sie könne erblich sein. Befallene Kinder galten als »kümmerlich« oder »schwächlich« oder sogar als faul, denn rachitische Kinder lernen erst spät stehen und laufen. Ihre Knochen sind verkürzt und an den Enden verdickt und sie verbiegen sich unter großem Druck. Das Rückgrat ist deformiert, denn viele Wirbel sind gebrochen. Das Brustbein ist verkrümmt und das führt zu einem vorgewölbten und häufig verformten Brustkorb. Der Kopf ist groß und eher eckig und weist einen vorstehenden, abgeflachten Unterkiefer auf. Häufig fallen Zähne aus. Als wären diese Deformierungen noch nicht genug, waren rachitische Kinder anfälliger für Infektionen als andere und litten ständig unter Bronchitis, Lungenentzündung oder Magen-Darm-Krankheiten.
    Die Krankheit war in ganz Nordeuropa durchaus weit verbreitet, vor allem in den Städten, doch niemand wusste, wie sie entstand, bis man in den 1930er-Jahren erkannte, dass ihr ein ganz einfacher Auslöser zugrunde lag: Eine Unterversorgung mit Vitamin D durch falsche Ernährung führt zu Kalziummangel in den Knochen.
    Ein so simpler Grund für so viel Leid! Vitamin D ist reichlich in Milch, Fleisch, Eiern und besonders in fettem Fleisch und Fischölen enthalten. Man sollte meinen, dass die meisten Kinder angemessen mit diesen Nahrungsmitteln versorgt seien, oder etwa nicht? Leider ist das bei armen Kindern aus benachteiligten Familien nicht so. Vitamin D wird zudem spontan im Körper produziert, wenn die Haut ultraviolettem Licht ausgesetzt ist. Sie mögen denken, dass es in Nordeuropa doch ausreichend Sonnenschein gibt, um Mängel auszugleichen. Doch leider sahen die armen Kinder der Industriestädte nichts von der Sonne, weil die dicht stehenden Gebäude kaum direkte Sonneneinstrahlung durchließen und Kinder während des Tages lange in der

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