Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
zu überzeugen, dass ein modernes Krankenhaus nichts mit den alten Spitälern gemein hatte, doch gegen Mum und Grandma konnte er sich nicht behaupten, so gab er sich geschlagen und Sally meldete sich bei den Hebammen des Heiligen Raymund Nonnatus an.
Während der ersten sechs Monate vor einer Geburt untersuchten wir unsere Patientinnen einmal pro Monat, dann während der folgenden sechs Wochen alle vierzehn Tage und anschließend folgten wöchentliche Untersuchungen während der letzten sechs Wochen der Schwangerschaft. In den ersten sieben Monaten lief bei Sally alles normal. Sie war eine hübsche, zierliche Zwanzigjährige und bewohnte mit ihrem Mann zwei Zimmer im Haus ihrer Mutter. Sie arbeitete als Telefonistin. Ihre Mum, die sie bei jedem Vorsorgetermin begleitete, war stolz auf sie.
Ich setzte mich zu ihr und sah mir ihre Akte an. Ihre Blutdruckwerte aus den ersten sechs Monaten waren recht unauffällig. Bei ihrem vorangegangenen Besuch war er leicht erhöht gewesen. Als ich nun beim Messen noch höhere Werte feststellte, machte ich mir Sorgen. Ich bat sie, auf die Waage zu steigen, und stellte fest, dass sie in zwei Wochen fünf Pfund zugenommen hatte. In meinem Kopf ertönten Warnsignale.
Ich sagte Sally, dass ich sie untersuchen wolle, und folgte ihr zur Liege. Dabei sah ich, dass ihre Knöchel geschwollen waren. Allmählich nahm eine Diagnose Gestalt an. Sally legte sich hin und ich konnte deutlich Unterschenkelödeme bis hinauf zu ihren Knien ertasten – sie waren noch nicht stark ausgeprägt, aber für erfahrene Hände deutlich zu spüren. Wassereinlagerungen – das war eine Erklärung für ihre Gewichtszunahme. Ich untersuchte ihren übrigen Körper auf Ödeme, konnte aber keine finden.
»Wird dir noch schlecht?«, fragte ich sie.
»Nein.«
»Magenschmerzen?«
»Nein.«
»Kopfschmerzen?«
»Na ja, jetzt, wo du’s sagst. Aber ich habs immer aufs viele Telefonieren geschoben.«
»Wann wirst du aufhören zu arbeiten?«
»Hab letzte Woche aufgehört.«
»Und hast du immer noch Kopfschmerzen?«
»Ja, schon, aber Mum hat gesagt, ich soll mir keine Sorgen machen. Wär normal.«
Ich schaute hinüber zu ihrer Mutter, Enid, die strahlte und wissend nickte. Gott sei Dank war das Mädchen zur Vorsorgesprechstunde gekommen. Mum weiß eben nicht immer Bescheid!
»Bleib bitte liegen, Sally. Ich möchte deinen Urin testen. Hast du eine Probe dabei?«
Sie hatte, Enid zog sie nach einigem Wühlen in ihrer geräumigen Handtasche hervor.
Ich ging hinüber zum Bunsenbrenner auf dem Marmortisch und entzündete die Flamme. Der Urin war recht klar und sah unauffällig aus, als ich ein wenig davon in mein Reagenzglas gab. Ich hielt die obere Hälfte des Glasröhrchens über die Flamme. Beim Erhitzen wurde der Urin weiß, während er in der unteren Hälfte des Reagenzglases, die nicht heiß wurde, klar blieb.
Albuminurie. Ein deutliches Anzeichen für eine Präeklampsie. Ich stand für einen Moment still da und dachte nach.
Es ist seltsam, wie man manche Dinge vergisst, selbst besondere Ereignisse im Leben. Ich hatte Margaret vergessen, doch als ich dort an der Spüle stand und das Reagenzglas betrachtete, waren Margaret und meine erste und einzige, grauenvolle Begegnung mit Eklampsie mit einem Mal wieder präsent.
Margaret war zwanzig und muss sehr schön gewesen sein, auch wenn ich sie in dieser Schönheit nie zu Gesicht bekam. Doch ich kannte Dutzende Fotos von ihr, die mir David, ihr Mann, der sie angebetet hatte, mit gebrochenem Herzen zeigte. Fotos waren damals schwarz-weiß. Sie hatten einen besonderen Charme, der aus dem Spiel von Licht und Schatten entstand. Auf manchen Bildern fesselte Margarets Intelligenz und ihre Sensibilität den Betrachter, auf anderen steckte einen ihr Lachen und ihr schelmischer Humor so sehr an, dass man sich wünschte, mit ihr lachen zu können. Auf wieder anderen blickten ihre großen, hellen Augen furchtlos der Zukunft entgegen und auf allen Schnappschüssen fielen ihr zarte braune Locken über die Schultern. Ein besonders einprägsames Foto zeigte ein lachendes Mädchen im Badeanzug am Strand in Devon, die Wellen brachen sich schäumend an den steilen Klippen und der Wind fuhr durch ihr Haar. Das Ebenmaß ihres Körpers mit den langen, schlanken Beinen und der Winkel, in dem die untergehende Sonne Schatten warf, machten es zu einem außerordentlichen Foto in jeder Hinsicht. Das Mädchen wirkte wie jemand, den man gern kennenlernen würde – doch das konnte ich nur
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