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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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Mitternacht sitzenbleiben.
    Die Rechnung belief sich auf zwei Shilling und neun Pence, mein Kaffee inklusive. Das entspricht dem heutigen Gegenwert von zwölf Pence. Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf und zog mit erhabener Geste den Fünfpfundschein hervor.
    Er zuckte zusammen und stammelte: »Sagense mal, hamses nich was kleiner? Wie soll ich denn auf fünf Pfund rausgeben?«
    Ich sagte kühl und mit fester Stimme: »Tut mir leid, aber kleiner habe ich es nicht. Sonst hätte ich es Ihnen schon gegeben. Meine Freundin hat gar kein Geld dabei. Wenn Sie den Schein nicht wechseln können, dann können wir unser Essen, fürchte ich, nicht bezahlen.«
    Ich faltete den Schein und steckte ihn zurück in meine Handtasche. Damit gab er sich geschlagen. Er sagte: »Na gut, na gut, Frollein Oberfein. Sie ham gewonnen.«
    Er ging davon und kramte in seiner Kasse, dann musste er nach hinten an seinen Safe gehen. Murmelnd und knurrend kam er zum Tisch zurück und zählte vier Pfund, siebzehn Shilling und drei Pence Wechselgeld ab, worauf ich ihm den Fünfpfundschein aushändigte.
    Mary kicherte bei all dem wie ein Schulmädchen. Ich zwinkerte ihr zu und steckte das Wechselgeld in meine Tasche. Sie vertraute mir immer noch, denn ich hätte ja auch aufstehen und mich mit all ihrem Geld davonmachen können.
    Es war schon spät. Obwohl es mein freier Abend war, lag ein sehr anstrengender Arbeitstag hinter mir, ich hatte am nächsten Morgen um acht Uhr Dienst und der nächste Tag versprach ebenso anstrengend zu werden. Ich wollte schon sagen: »Nun muss ich aber wirklich los«, aber irgendetwas hielt mich bei diesem einsamen Mädchen und ich sagte: »Hast du schon Pläne für das Baby?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Wann ist denn der Termin?«
    »Weiß nicht.«
    »Wo bist du denn für die Entbindung angemeldet?«
    Sie antwortete nicht, also wiederholte ich meine Frage.
    »Ich bin nirgendwo angemeldet«, sagte sie.
    Ich machte mir Sorgen. Ich schätzte, dass sie etwa im sechsten Monat war, aber wenn sie so viel gehungert hatte, war es vielleicht ein kleines Baby und dann stand der Geburtstermin noch eher bevor. Ich sagte: »Also, Mary, du musst dich irgendwo zur Entbindung anmelden. Wer ist denn dein Arzt?«
    »Ich habe keinen.«
    »Wo wohnst du denn?«
    Sie antwortete nicht, also fragte ich sie noch einmal, bekam aber immer noch keine Antwort. Sie sah wütend aus und ihre Stimme bekam einen harten, argwöhnischen Klang:
    »Das geht dich nichts an«, sagte sie. Ich glaube, wenn ich nicht noch ihre vier Pfund, siebzehn Shilling und drei Pence in der Handtasche gehabt hätte, wäre sie aufgestanden und gegangen.
    »Mary, du kannst es mir ruhig sagen, denn du brauchst einen Arzt und pränatale Vorsorge für dein Baby. Ich bin Hebamme und kann wahrscheinlich alles für dich in die Wege leiten.«
    Sie biss sich auf die Lippe und spielte an ihren Fingernägeln. Dann sagte sie: »Ich habe im Full Moon Café an der Cable Street gewohnt. Aber dahin kann ich nicht mehr zurück.«
    »Warum nicht?«, fragte ich. »Weil du fünf Pfund aus der Kasse gestohlen hast?«
    Sie nickte.
    »Die bringen mich um, wenn sie mich finden. Und irgendwie werden sie mich finden, da bin ich mir sicher. Und dann bringen sie mich um.«
    Das Letzte sagte sie in einem kühlen, sachlichen Tonfall, als hätte sie dem Unvermeidlichen bereits ins Auge geblickt und es angenommen.
    Nun war es an mir zu schweigen. Ich wusste, dass es im East End viel Gewalt gab. Wir Hebammen bekamen nicht viel davon zu sehen, denn uns begegnete man mit tiefem Respekt und alles in allem hatten wir es fast nur mit anständigen Familien zu tun. Dieses Mädchen aber schien sich in gewaltbereite Gesellschaft begeben zu haben, und da sie diese Menschen bestohlen hatte, konnte die ihr drohende Gefahr leicht Realität werden. Ihr Leben konnte tatsächlich in Gefahr sein. Ich selbst hatte noch nichts von den berüchtigten Cafés in der Cable Street gehört.
    Ich sagte: »Weißt du, wo du heute Nacht schlafen kannst?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Ich seufzte. Mir wurde langsam klar, welche Verantwortung ich bereits für sie hatte.
    »Lass uns nachschauen gehen, ob die YWCA * noch offen hat. Es ist schon sehr spät und ich weiß nicht genau, wann sie schließen, aber einen Versuch ist es wert.«
    Wir dankten dem Wirt und brachen auf. Auf der Straße gab ich Mary ihr Geld und wir gingen etwa eine Meile bis zur YWCA . Dort war bereits seit zehn Uhr geschlossen.
    Ich war erschöpft und müde.

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