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Callboys - Die Schönen der Nacht

Callboys - Die Schönen der Nacht

Titel: Callboys - Die Schönen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Hart
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verstand ein Teil von mir, der mächtiger war als die Traurigkeit, dass die Trauer für die Lebenden bestimmt ist. Die Toten sind fort, und ihnen hilft unser Mitgefühl nicht mehr. Trauern müssen wir mit denen, die zurückgeblieben sind, und obwohl ich das verstand, hatte ich niemals so sehr getrauert wie meine Kunden.
    Aber um diesen kleinen Jungen, dessen Augen sich viel zu früh für immer geschlossen hatten, weinte ich. Wenn seine Eltern kamen, eine Frau und ein Mann, zwischen denen der entsetzliche Schmerz stand, den jeder für sich erleiden musste, sollten sie ihr Kind sehen, wie es gewesen war, nicht, wie es jetzt war. Ich wollte nicht, dass sie von der Watte in seinen Wangen wussten oder davon, dass unter seinem Schlafanzug eine Linie aus Stichen wie Eisenbahngleise verlief, wo die Ärzte ihn aufgeschnitten hatten, um sein Leben zu retten.
    Ich weinte, als ich ihn in den kleinsten Sarg legte, den ich hatte. Ein Sarg, der teurer war, als sie es sich leisten konnten … aber das würde ich ihnen nicht sagen. Ich weinte still vor mich hin, heiße Tränen liefen über mein Gesicht, und in meinen Mundwinkeln sammelte sich das Salz, während ich arbeitete. Ich weinte auch, als ich Jared anrief, um ihm zu sagen, dass er am nächsten Tag kommen und mir helfen musste.
    Ich wollte, dass sie ihn sahen, wie er gewesen war, wollte ihnen diesen winzigen Trost schenken und ihnen damit noch mehr Kummer ersparen. Ich wollte ihnen sagen, dass er nun in Sicherheit und an einem besseren Ort war, wo er keine Schmerzen mehr erleiden musste, obwohl ich nicht daran glaubte. Ich wusste, dass er fort war, einfach fort.
    Dennoch sagte ich es ihnen, es war eine einfache Lüge, weil ich wusste, sie wurde von mir erwartet, und meine Sätze würden sich mit den Hunderten von anderen geflüsterten Worten von einer besseren Welt schützend um sie legen. Sie würden ihnen helfen, wenn nicht jetzt, dann später, wenn sie sich seine Fotos ansahen und sich gegenseitig baten, den Klang seines süßen kleinen Lachens nicht zu vergessen, obwohl sie schon längst damit angefangen hatten.
    Ich konnte mich selbst nicht dazu bringen, an ein Leben nach dem Tode zu glauben, aber ich tat, was ich konnte, um ihnen zu helfen, daran zu glauben.
    Als ich alle Vorbereitungen getroffen hatte, war es dunkel. Noch immer weinend, ging ich zu Bett und erwachte auf einem Kissen, das nass von Tränen war. Ich hatte die Aufbahrung für neun Uhr angesetzt, und die Familie hatte beschlossen, dass die Beerdigung um zehn Uhr stattfinden sollte.
    Um Viertel vor zehn, zehn Minuten nachdem wir zum Friedhof hätten aufbrechen müssen, trafen immer noch Leute ein, um Abschied zu nehmen. Das Ehepaar schien überwältigt von all der Anteilnahme zu sein. Einige der Trauergäste waren Fremde, die die Eltern nur vom Sehen kannten. Jeder Platz in der Kapelle war besetzt.
    Während der Andacht weinte ich nicht. Es wäre nicht passend gewesen, und sie brauchten meine Tränen nicht. Sie brauchten mich, damit ich mich darum kümmerte, dass Benzin im Tank des Leichenwagens war und der Fahrer wusste, wohin er fahren musste. Sie brauchten mich, damit ich die Formulare ausfüllte, die den Tod ihres Sohnes offiziell machten, als würden sie Tinte auf einem Blatt Papier brauchen, um ihren Verlust begreifbar zu machen. Sie brauchten mich, damit ich die Trauergäste begrüßte und sie in die Kapelle führte, ihnen den Weg zu den Toiletten und das Kondolenzbuch zeigte, dafür sorgte, dass sie auf den für sie vorgesehenen Plätzen saßen und dorthin gingen, wo sie sein sollten. Dieser Mann und diese Frau, deren Welt in Stücke zerbrochen war, brauchten mich, damit ich ihnen half, alles noch für ein paar wenige Stunden zusammenzuhalten, und ich gab mein Bestes, das zu tun.
    Sie hatten keine Grabrede geplant; welcher Vierjährige hatte schließlich Leistungen vollbracht, die man hätte aufzählen müssen? Doch als der Raum zum Bersten gefüllt war, schaute sich der Vater des Jungen um und fragte mich, ob es in Ordnung wäre, wenn er ein paar Worte sprach, bevor wir zum Friedhof aufbrachen.
    Er stellte sich in einem schlecht sitzenden marineblauen Anzug, der geliehen aussah, vor die Menge. Falls er geweint hatte, zeigte sein Gesicht keine Spuren von Tränen mehr, obwohl seine Augen so stark glänzten wie in der Halle des Krankenhauses. Er räusperte sich ein Mal, dann ein weiteres Mal, und wir alle warteten, voller Respekt für das, was er sagen würde.
    „Er hat niemals gelernt, seine

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