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Callboys - Die Schönen der Nacht

Callboys - Die Schönen der Nacht

Titel: Callboys - Die Schönen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Hart
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Bauklötze wegzuräumen“, begann der Mann. Sein Kummer brach aus ihm heraus, in großen, schimmernden Wellen, die aus seinen Augen an seinem Gesicht hinabflossen und seine Lippen benetzten.
    Ich wusste, wie das schmeckte.
    Ein einzelner Schluchzer kam aus dem Mund seiner Frau, und sie erstickte ihn mit ihrer Faust. Sie war nicht die Einzige, die weinte. Ihr Mann räusperte sich erneut, machte aber keinen Versuch, sein Gesicht abzuwischen. Funkelnde Tränen tropften von seinem Kinn.
    „Er war mein Sohn. Und ich habe ihn geliebt. Und ich weiß nicht, was wir ohne ihn machen sollen.“
    Er sah sich im Raum um und nickte einmal, als wäre er nun zufrieden. Dann streckte er die Hand nach seiner Frau aus. Nun weinten sie gemeinsam, aber sie waren mit ihren Tränen nicht allein. Nicht so, wie sie im Krankenhaus allein gewesen waren oder wie sie zumindest geglaubt hatten, allein zu sein.
    Nachdem wir den Rest der Zeremonie auf dem Friedhof hinter uns gebracht hatten und die Schlange der Autos mit eingeschalteten Scheinwerfern und der purpurnen „Beerdigungsflagge“, die mit einem Magnet auf der Motorhaube befestigt war, fort war, fuhr ich nach Hause. Ich schloss die Tür ab und ging hinauf in mein Apartment. Mein Handy hatte den ganzen Tag nicht geläutet. Das Lämpchen an meinem Anrufbeantworter blinkte nicht. Ich hatte nicht genug gegessen. Hatte nicht genug geschlafen. Ich taumelte am Rande der Erschöpfung herum, meine Nerven lagen blank, und meine Welt drohte, aus den Fugen zu geraten.
    Ich sank auf die Couch, legte mein Gesicht in die Hände und weinte wieder, dieses Mal zwang ich Tränen hervor, die nicht fließen wollten, denn ich wollte die Sache verarbeiten und dann hinter mir lassen.
    Ich musste sie hinter mir lassen.
    Ich vertippte mich zweimal, bevor es mir gelang, die richtige Nummer zu wählen, und am anderen Ende der Leitung läutete das Telefon lange, ohne dass jemand das Gespräch annahm. So lange, dass ich befürchtete, ich würde nichts als die atmosphärischen Aufladungen hören oder einen Anrufbeantworter, und ich war nicht in der Lage, eine Nachricht zu hinterlassen. Ich zählte die Klingelzeichen und nahm mir vor, nach dem dritten aufzulegen. Noch eins, nur noch eines mehr.
    Und schließlich, endlich, hob er ab, und seine Stimme klang nicht fragend, sondern so, als wüsste er bereits, wer der Anrufer war.
    „Sam“, sagte ich. „Ich brauche dich.“

15. KAPITEL
    Er brachte mir in einem Plastikbehälter Suppe mit Matzenbrot-Bällchen und tat so ungefähr alles für mich, außer mich mit der Suppe zu füttern. Dann drehte er die Dusche auf, prüfte, ob das Wasser warm genug war, und stellte mich darunter, während ich schon wieder weinte. Anschließend zog er mir ein T-Shirt über den Kopf, half mir in meine Pyjamahosen, steckte mich ins Bett, legte sich zu mir, presste seinen Körper von hinten an meinen und legte die Arme um mich.
    Zu diesem Zeitpunkt war ich halb besinnungslos vor Erschöpfung und Traurigkeit. Ich weiß, dass ich immer weiter und weiter über den Tod, das Leben, das Schicksal und das Nichtvorhandensein eines von hellem Licht durchfluteten Tunnels schwadronierte. Darüber, wie unfair es von Gott war, ein so kleines Kind zu sich zu holen. Darüber, wie unverdient manche Menschen ein schrecklicher Kummer traf.
    Sam war die meiste Zeit still, seinen Körper an meinen geschmiegt, seinen Arm um mich geschlungen. Das Bett schien unter mir zu schwanken wie ein Boot auf hoher See, und Sam war mein Anker, der mir Halt gab. Sein Atem glitt über meinen Nacken.
    „Wenn es keinen Kummer gäbe“, murmelte er, „wie sollten wir dann die Freude genießen?“
    Er hatte recht. Natürlich hatte er recht. Doch an jenem Tag war das kein Trost für mich. Und obwohl ich wusste, dass diese erschütternde Trauer nicht einmal meine eigene war, dass die Zeit vergehen und ich den Tod des Kindes rascher überwinden würde als jene, die ihn geliebt hatten, half mir das nicht im Geringsten, sondern ließ mich nur noch mehr wüten.
    Irgendwann schlief ich ein, unfähig, noch länger wach zu bleiben. Der Körper besiegt den Geist, immer. Ich erinnere mich nicht, was ich geträumt habe, nur daran, dass ich nicht das geringste Bedürfnis verspürte, die Flucht zu ergreifen, als ich erwachte und neben mir Sams leises Schnarchen hörte.
    Ich weckte ihn mit zarten Küssen auf die Seite seines Halses und auf die nackte Brust – wann hatte er sich ausgezogen? Weitere Erkundungen unter der Decke zeigten mir,

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