Callboys - Die Schönen der Nacht
einem breiten schwarzen Band aus dem Gesicht gehalten wurde. Sie hob den Kopf und stand auf. Mit der Hand umklammerte sie einige zerknüllte Papiertaschentücher.
Sie hätte eine Schwester oder Cousine sein können oder auch nur eine Freundin der Familie, doch als ich sah, wie Dans Augen aufleuchteten, war mit sofort klar, dass sie zu ihm gehörte.
„Elle“, sagte er. „Hallo.“
„Hallo, Liebling. Hallo, Dotty.“ Elle verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln, als Dotty Stewart sie umarmte.
„Meine Frau“, erklärte mir Dan.
Sie griff nach seiner Hand, und er überließ sie ihr völlig selbstverständlich. Diese Geste erschien mir intimer als ein Kuss. Dann gingen die drei.
Sam war nicht aufgetaucht, wie sein Bruder es vorausgesagt hatte.
Vom Fenster meines Büros aus konnte ich den Parkplatz überblicken. Dan Stewart und seine Frau standen neben einem dunkelgrauen Volvo. Er lehnte sich an sie, presste das Gesicht an ihre Schulter und schlang die Arme um ihre Taille. Sie strich mit einer Hand an seinem Rücken hinunter, während die andere auf seinem Nacken lag.
Es kam mir ungehörig vor, die beiden zu beobachten, aber ich konnte den Blick nicht abwenden. Ihre Hände bewegten sich in einem Dreierrhythmus seinen Rücken hinunter. Drei Striche, Pause. Drei weitere Striche, Pause. Es beruhigte mich, dabei zuzusehen, dabei war ich überhaupt nicht aufgeregt gewesen.
Die Eifersucht, die ich plötzlich spürte, überraschte mich. Sein Gesichtsausdruck, als er sie gesehen hatte … Ich konnte nicht abstreiten, dass ich mir wünschte, eines Tages möge mich jemand auf diese Weise ansehen. Doch was, wenn sie jetzt weiß gekleidet in der Kiste aus Kiefernholz läge? Wie viel größer noch wäre sein Kummer, wenn er den Verlust der Frau ertragen müsste, die er so offensichtlich anbetete?
Er zog ein wenig die Schultern hoch, und sie streichelte wieder seinen Rücken. Ich konnte erkennen, dass sie ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er nickte. Sie drückte ihn an sich, dann trat er ein wenig zurück. Sie küssten sich, dort auf dem Parkplatz, und endlich wandte ich mich ab.
Für den späten Nachmittag hatte ich im Rahmen einer anderen Beisetzung bereits einen Gottesdienst geplant, doch die Glaubensregeln der Stewarts besagten, dass sie Mr. Stewart so bald wie möglich beerdigen mussten. Ich machte mich daran, die Kapelle vorzubereiten. Der Rabbi brachte die kleinen Büchlein, in denen die hebräischen Gebete abgedruckt waren, da ich sie nicht vorrätig hatte. Im Vergleich zu einigen der anderen Trauerandachten, die wir ausrichteten, würde diese kurz und karg ausfallen.
Noch nie zuvor hatte ich so lange herumgefummelt, um die Kapelle auf eine Andacht vorzubereiten. Ich ließ das Kondolenzbuch fallen, die frischen weißen Seiten zerknitterten, und ich musste ein neues holen. Dann verteilte ich die Liederzettel, die vom letzten Gottesdienst übrig geblieben waren, auf dem gesamten Fußboden und musste auf den Knien herumkriechen, um sie wieder einzusammeln. Alles dauerte doppelt so lange wie normalerweise, denn meine Geschwindigkeit und meine Geschicklichkeit litten erheblich unter meiner neuen Eigenart, alle zwei Minuten über meine Schulter zur Tür zu sehen.
Schließlich richtete ich mich auf und atmete tief durch. Sam würde mit seiner Familie hier sein, um seinem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Nur darum ging es. Im Zusammenhang mit dieser Trauerfeier an irgendetwas anderes zu denken war lächerlich. Tatsächlich würde es am besten sein, wenn ich überhaupt nicht anwesend war. Diese Ablenkung war überflüssig für ihn, und ich war überflüssig bei der Trauerfeier. Shelly und Jared konnten sich um den Empfang der Trauergäste kümmern, und der Rabbi, der soeben dabei war, seinen Mantel aufzuhängen, würde den Rest erledigen.
Ich musste also nicht unbedingt anwesend sein, und doch stand ich in meinem hübschen Hosenanzug da und kam mir wie eine Idiotin vor, als einer nach dem anderen die Familienmitglieder und Freunde von Morty Stewart in die Kapelle eintraten und auf den bequemen Stühlen Platz nahmen, die ich mit neuen Bezügen in den beruhigenden Farben Grün und Violett hatte versehen lassen. Einer nach dem anderen, doch keiner von ihnen war Sam.
Eigentlich hatte ich gar keine Zeit zum Nachdenken. Schließlich mussten die Autos für den Weg zum Friedhof ausgerichtet und mit den passenden purpurroten „Beerdigungsfähnchen“ versehen werden. Die übrig gebliebenen Gebetsbücher mussten für den
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