Callboys - Die Schönen der Nacht
was ich sagen sollte, und stopfte mir den Mund voll Keks, sodass ich mir nichts überlegen musste.
Shelly seufzte erneut. „Du gehst mit vielen verschiedenen Männern aus, nicht wahr, Grace?“
Ich kaute und schluckte und nippte an meinem Kaffee, um die Krümel wegzuspülen. „So viele sind es auch wieder nicht.“
„Ich bin mit Duane seit dem zweiten Jahr in der Highschool zusammen.“ Sie schaute mich an. „Er ist der einzige Freund, den ich jemals hatte.“
„Daran ist nichts falsch, das weißt du.“
„Ich weiß.“ Wieder zuckte sie die Achseln. „Aber er ist so … nett.“
„Nettigkeit ist nicht zu verachten“, erklärte ich ihr.
„Mit nett meine ich langweilig“, erläuterte mir Shelly.
„Langweilig ist nicht so gut“, stellte ich fest.
Wir lachten.
„Ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Die ganze Zeit tun wir immer wieder das Gleiche. Wir gehen ins Kino. An den Sonntagabenden essen wir Pizza. Ich kann dir genau sagen, was er mir zum Geburtstag schenken wird. Ich kann dir sagen, welche Farbe das Hemd haben wird, das er am Donnerstag tragen wird.“
„An all diesen Dingen ist nichts falsch“, sagte ich in ruhigem Ton.
Shelly nickte. „Klar. Das weiß ich.“
Ein Teil von ihr musste jedoch anderer Meinung sein, sonst hätte sie nicht mit mir über das Thema gesprochen. Shelly und ich standen uns nicht so nahe, dass ich ihr meinen Rat angeboten hätte – falls ich für diesen Fall Rat gewusst hätte. So aber aß ich einen weiteren Keks, das Gleiche tat sie auch, und als gleich darauf das Telefon klingelte, ging sie, um den Anruf entgegenzunehmen.
Während ich über das nachdachte, was sie gesagt hatte, ließ ich meinen Drehstuhl herumwirbeln, aß zwischendurch doch noch einen Keks, schlürfte meinen Kaffee und schaute aus meinem Fenster hinunter auf den hinteren Parkplatz.
Ich versuchte, mir einzureden, ich müsste wegen der vielen Kekse sauer aufstoßen, aber in Wirklichkeit war der Grund die Erinnerung an meinen Neid auf die Nähe zwischen Dan und Elle, die ich durch dieses Fenster beobachtet hatte. Nachdem ich den Computer heruntergefahren hatte, griff ich nach meinem Handy und ging hinaus zu Shellys Schreibtisch.
„Ich muss noch einige Besorgungen machen. Heute habe ich keine Termine mehr, aber wenn sich etwas ergibt, ruf mich an. Bis ich zurück bin, kann Jared sich problemlos um alles kümmern.“
Ich war mir nicht sicher, wohin ich fahren wollte, wusste aber, dass ich für einige Zeit von Frawley and Sons wegmusste. Der Verkehrsfluss nahm mir die Entscheidung ab, weil es einfacher war, nach rechts als nach links zu fahren. Nach fünf Minuten Fahrt erreichte ich das Haus meiner Schwester, in deren Vorgarten untypischerweise eine Menge Spielzeug herumlag. Ich fuhr in die Einfahrt, blieb jedoch für eine Weile im Auto sitzen. Wie sollte ich meiner Schwester mein plötzliches Auftauchen erklären?
Sie ließ mir nicht viel Zeit, eine Lösung zu finden. Die Haustür öffnete sich, und Hannah spähte durch das Fliegengitter nach draußen. Natürlich tat sie das. Denn das hier war schließlich und endlich Annville. Ich konnte sicher sein, dass auch Hannahs sämtliche Nachbarn aus ihren Häusern spähten.
Während ich aus dem Auto stieg, trat sie durch ihre Tür. „Grace?“
Ich winkte. „Hallo.“
Sie hielt mir die Tür auf. „Was machst du denn hier?“
„Oh … ich wollte nur einmal vorbeischauen, wenn ich nicht störe.“
Sie schloss die Tür hinter mir. Das Wohnzimmer war ein Schlachtfeld aus Actionfiguren und Bauklötzen. Ebenso wie der Zustand des Vorgartens, sah diese Unordnung meiner Schwester, die den Ordnungssinn unserer Mutter geerbt hatte, überhaupt nicht ähnlich.
„Wo ist Simon?“, erkundigte ich mich überflüssigerweise, da ich aus dem Spielzimmer im Keller die Geräusche eines Fernsehcartoons dröhnen hörte.
Hannah zeigte auf den Fußboden. „Er ist unten und macht seinem Gehirn den Garaus. Komm mit in die Küche.“
Auch dort herrschte Chaos, jedenfalls wenn man die üblichen Maßstäbe anlegte. Im Spülbecken und auf der Arbeitsplatte stapelte sich das Geschirr, auf dem Tisch standen noch die Reste des Mittagessens. Die Schiebetür, die normalerweise die Waschmaschine und den Trockner verbarg, stand offen, und davor warteten zwei volle Körbe mit Schmutzwäsche.
„Ich hatte noch keine Zeit, sauber zu machen“, erklärte Hannah, als sie meinen erstaunten Blick bemerkte.
„Das sehe ich.“
„Kaffee?“ Sie ging zur
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