Callboys - Die Schönen der Nacht
nach verschiedenen Veranstaltungen nach Hause gefahren. Heute jedoch waren nur Beth, Jim und Peggy da. Ron war nach langem Kampf dem Krebs erlegen.
Peggy Johnson sah blass aus und wirkte dünner als das letzte Mal, als ich sie gesehen hatte, doch sie trug knallroten Lippenstift und hatte ihr Haar frisiert. Als sie hereinkam, lächelte sie mich an und nahm die Hand, die ich ihr anbot, bevor sie mich an sich zog und mich freundschaftlich umarmte, was mich ein wenig überraschte.
„Seht sie nur an!“, rief sie. „Himmel, Grace, du bist so erwachsen geworden.“
Beth runzelte die Stirn. „Mom! Wir sind im selben Alter.“
„Ich weiß, ich weiß, aber …“ Peggy wandte sich ihrer Tochter zu und zupfte an ihrer Seidenbluse. „Du bist mein Baby.“
Jim rollte mit den Augen. „Und was bin ich? Sauerbier?“
„Natürlich nicht. Du bist auch mein Baby.“ Peggy zog am Knoten seiner Krawatte und wandte sich dann wieder mir zu. Das seltsame Glänzen in ihren Augen war das einzige Anzeichen ihrer Trauer. „Also: Lasst uns anfangen, ja? Ich bekomme Gäste von außerhalb und muss noch etwas zu essen einkaufen.“
Ihre Kinder wechselten einen Blick, und nachdem sie sich alle vor meinem Schreibtisch niedergelassen hatten, setzte auch ich mich hin. Ich zog Ron Johnsons Akte aus der kleinen Metallablage auf meinem Schreibtisch und dankte im Stillen Shelly dafür, dass sie daran gedacht hatte, sie vor der Ankunft der Johnsons bereitzulegen. Ron hatte schon fast alles im Voraus geregelt, sodass wir die Anweisungen nur durchgehen mussten.
Ich legte den Aktendeckel auf den Stapel pinkfarbener Notizzettel, die Shelly auf meinem Schreibtisch hinterlassen hatte. Ich hatte diese Art von Gespräch schon mit so vielen Familien geführt, dass ich nicht darüber nachdenken musste, was ich sagen sollte, doch als mein Blick auf den Namen fiel, der auf dem obersten Zettel stand, blieb mir das Wort in der Kehle stecken.
Sam Stewart.
Und auf dem Zettel darunter und dem darunter stand ebenfalls dieser Name. Vor mich hin stotternd blätterte ich den Stapel mit den Nachrichten durch und versuchte, gleichzeitig zu zählen und zu reden, was beides nicht recht glückte. Er hatte mindestens viermal angerufen.
Vier Mal, in dem Zeitraum, seit ich morgens das Haus verlassen und nun zurückgekehrt war? Der Mann war ein Stalker! Er war verrückt.
„Wie Sie wissen, hat Ron bereits einen Sarg und eine Grabstätte ausgesucht“, gelang es mir zu sagen, ohne wie eine komplette Idiotin zu klingen.
Ich legte die Akte wieder auf Sams Nachrichten und sah die drei Johnsons an, die meinen Blick erwartungsvoll erwiderten. Ich musste mich nun wirklich zusammenreißen. Entschlossen zog ich die Liste hervor, die Ron und ich vor einigen Monaten erstellt hatten. Ich war zu ihm nach Hause gegangen, um diese Aufgabe zu erfüllen. Er hatte Hospizpflege erhalten und war schon zu krank gewesen, um in mein Büro zu kommen. Beth hatte uns Eistee und Biskuitkuchen gebracht, während wir die Broschüren mit den Särgen durchgesehen und über Preise gesprochen hatten.
Ich sprach Beth und Jim direkt an. „Würdet ihr gerne den Sarg sehen, den euer Dad sich ausgesucht hat?“
„Das ist nicht nötig“, kam Peggy ihren Kindern zuvor, und beide sahen aus, als wären sie anderer Meinung. Peggy schob entschlossen ihr Kinn vor. Die Hände hatte sie in ihrem Schoß ineinander verkrampft. „Ich habe die Pläne nämlich ein wenig geändert.“
Ich legte die Liste zurück in die Akte und faltete die Hände darüber, um ihr meine volle Aufmerksamkeit zu widmen. „Bitte.“
Nun taten Beth und Jim mehr, als unauffällige Blicke zu tauschen. Indem sie die Geheimsprache von Geschwistern benutzten, die vom Handeln ihrer Eltern völlig entsetzt sind, formten sie hinter dem Rücken ihrer Mutter mit den Lippen stumme Worte. Falls Peggy etwas bemerkte, tat sie, als wäre das nicht der Fall. Sie sah mir direkt in die Augen.
„Vergiss den Sarg mit den extravaganten Beschlägen, den er sich ausgesucht hat.“
Als begeisterter Fliegenfischer hatte Ron ein beliebtes Sargmodell mit dekorativen, speziell für ihn angefertigten Eckenbeschlägen ausgesucht. „Haben Sie schon eine andere Wahl getroffen?“, wollte ich wissen.
Peggy atmete tief durch, und ihre Augen flackerten, obwohl ihre Stimme ruhig blieb und ihre miteinander verschlungenen Hände immer noch bewegungslos in ihrem Schoß lagen. „Ich will den schlichten Kirschbaumsarg, von dem du damals gesprochen hast. Das
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