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Callboys - Die Schönen der Nacht

Callboys - Die Schönen der Nacht

Titel: Callboys - Die Schönen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Hart
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stand nach einem kurzen Moment des Zögerns ebenfalls auf, doch obwohl er hoch aufgerichtet neben seiner Mutter stand, schaute sie nicht einmal zu ihm auf. Ihr Blick war auf ihre Hände gerichtet, die wieder fest gefaltet in ihrem Schoß lagen.
    „Ich gehe und sehe mal nach ihr“, erklärte Jim mit knirschenden Zähnen. „Da du ja hier ohnehin alles unter Kontrolle hast, Mom.“
    Peggy nickte. Jim warf mir einen entschuldigenden Blick zu, der nicht nötig gewesen wäre, ihm aber wahrscheinlich half, sich nach diesem leicht verrückten Auftritt seiner Mutter besser zu fühlen. Er verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich wartete darauf, dass Peggy etwas sagte.
    „Er hat mich verlassen“, erklärte sie mit lebloser, ausdrucksloser Stimme, und als sie mich wieder ansah, waren auch ihre Augen tot. Puppenaugen. „Er hat mich verlassen.“
    Sie löste sich nicht in Tränen auf. Ich denke, das hätte ihr vielleicht geholfen, aber Peggy Johnson hatte ihre Verzweiflung und ihren Schmerz tief in ihrem Inneren eingeschlossen. Sie atmete lange und zittrig ein und zwang ein Lächeln auf ihre widerstrebenden Lippen. Dann stieß sie die Luft wieder heraus und schüttelte den Kopf, sodass ihr das Haar auf die Schultern fiel. Sie war, bemerkte ich jetzt, etwa im Alter meiner Mutter, so wie Ron im Alter meines Dads gewesen war. Sie war mir immer so alt erschienen, ebenso wie ich meine Eltern stets gesehen hatte und immer noch sah, doch als ich sie jetzt beobachtete, konnte ich das Mädchen sehen, das sie einmal gewesen war. Das Mädchen, das sich in einen Jungen verliebt und ihn geheiratet hatte. Das seine Kinder geboren hatte. Und mit ihm gelebt hatte, bis zum Schluss.
    Bis er es verlassen hatte.
    „Ich verstehe“, erklärte ich Peggy, und die Worte fühlten sich hohl an, obwohl sie sicher klangen.
    „Nein, ich glaube nicht, dass du das kannst. Es mit anzusehen ist nicht das Gleiche, wie es zu leben, Grace.“
    „Nein. Das ist es wohl nicht. Aber ich fühle wegen Ihres Verlusts mit Ihnen, Mrs. Johnson. Mr. Johnson war ein netter Mann. Ein wirklich netter Mann.“
    „Ja.“ Sie hielt inne. Ihre Finger zuckten in ihrem Schoß, und in der Maske ihres Gesichts wurden ihre Lippen zu dünnen, blutleeren Strichen. „Das war er.“
    „Ich werde gerne die Pläne für die Bestattung so ändern, wie Sie es möchten. Aber … wenn ich einen Vorschlag machen dürfte?“
    Ein trockenes Lachen löste sich aus ihrer Kehle. „Mach schon. Das ist alles, was sie alle tun, seit er gestorben ist. Vorschläge machen. Gut gemeinten Unsinn von sich geben.“
    Ich nickte langsam. „Ich kann sehr gerne die Bestellung in den billigeren Sarg und einen preisgünstigen Außensarg umändern und Ihnen das übrig gebliebene Geld zurückzahlen. Und wenn Sie kein Kondolenzbuch wollen, ist das auch völlig in Ordnung. Aber was die Trauerkarten betrifft …“ Ich schwieg einen kurzen Moment. Sie sah mich an. „Die Karten sind als Erinnerung gedacht. Nicht für Sie. Oder für ihn. Ich glaube, Sie würden es bereuen, sie den anderen Menschen nicht angeboten zu haben, die sie gerne gehabt hätten.“
    Ihre Lippen teilten sich, um einen Seufzer herauszulassen, und nach ein paar Sekunden ließ sie ihre Schultern nach vorne sinken. „Na gut. Dann lassen wir das mit den verdammten Trauerkarten so, wie es geplant war. Und auch die Aufbahrung, obwohl Gott allein weiß, warum irgendjemand ihn so sehen will. Ich verstehe es nicht.“
    „Ich werde mein Bestes geben, wenn wir ihn herrichten, Mrs. Johnson. Das wissen Sie. Und es hilft den Menschen, sich von ihm zu verabschieden, wenn sie ihn noch ein letztes Mal sehen können.“
    Ihr zweites Lachen war kaum weniger bitter als das erste. „Mir nicht. Ich will mich daran erinnern, wie er war, bevor er krank wurde. Kannst du etwas machen, dass er wieder so aussieht, Grace? Kannst du das Funkeln wieder in seine Augen bringen? Kannst du ihn wieder auf dieselbe Weise lächeln lassen, wie er es getan hat, bevor er mir einen schmutzigen Witz erzählte?“
    „Nein“, erwiderte ich und schüttelte den Kopf.
    „Natürlich kannst du das nicht“, erklärte mir Peggy. „Weil er tot ist.“
    Ich streckte meine Hand mit der Innenseite nach oben über den Schreibtisch, und sie nahm sie und drückte sie so fest, dass meine Fingerknöchel knackten, aber sie weinte immer noch nicht.
    „Es tut mir leid“, flüsterte ich.
    Sie nickte und ließ meine Hand wieder los. Dann wandte sich das Gespräch dem Termin zu,

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