Callboys - Die Schönen der Nacht
der gestorben ist. Sie ist einzig und allein für die Hinterbliebenen gedacht.
Einen Körper auf die Beisetzung vorzubereiten ist für mich eine Angelegenheit, bei der es darum geht, mit der sterblichen Hülle respektvoll umzugehen und ihr Ehre zu erweisen. Diese Hülle zu reinigen, sie falls nötig einzubalsamieren, Kosmetika aufzutragen oder andere Techniken anzuwenden, die das Gesicht so weit wie möglich aussehen lassen wie zu Lebzeiten. Ich sehe nicht die Brüste und die Hinterbacken, sondern einen menschlichen Körper, dessen Besitzer nicht mehr selbst für ihn sorgen kann; es ist mein Job, das zu tun.
„Reichst du mir bitte den Mull?“, wandte ich mich an Jared, der gerade ein schmutziges Laken in den Wäschebehälter warf.
Weil er Hospizpflege erhalten hatte, waren bei Ron Johnson nur wenige Schläuche zu entfernen, anders als bei den meisten Krankenhauspatienten. Dennoch hatte er einen Dauertropf in einem Arm, und der musste heraus. Jared und ich waren in unsere Routine versunken und arbeiteten Hand in Hand zu den Klängen von Death Cab for Cutie, die aus den Lautsprechern meines iPods kamen.
Die meiste Zeit arbeiteten wir schweigend, nur ab und zu sang Jared bei einem Song laut mit. Obwohl er mich nur zu gerne wegen meines Musikgeschmacks neckte, kannte er doch die Texte der meisten Stücke auswendig. Ich war nicht gerade eine begeisterte Sängerin, aber ab und zu summte ich vor mich hin. Wir hielten beide bei unserer Arbeit inne, als ein neuer Song mit den schlichten Tönen einer akustischen Gitarre und Gesang begann.
„I will follow you into the dark.“ Die Männerstimme sang davon, dass ihr Besitzer seiner Geliebten in der Stunde des Todes in die Dunkelheit folgen wollte.
„Was glaubst du?“, fragte Jared, während wir Ron Johnsons Arm in den Ärmel seiner Anzugjacke schoben. „Glaubst du, es gibt einen Tunnel, der durch die Dunkelheit ins Licht führt?“ Er bezog sich auf den Text des Songs.
„Ich weiß nicht.“
Während ich die Fliege band, bürstete Jared das Revers des Jacketts ab. Ron Johnson war bereit – bereit, in den einfachen Kirschbaumsarg gelegt zu werden, von dem seine Frau meinte, er sei als letzte Ruhestätte die beste Wahl. Nachdem wir auch die wenigen noch verbleibenden Handgriffe verrichtet hatten, legten wir Ron auf die fahrbare Bahre, auf der wir ihn in die Kapelle schieben würden, um ihn dort in den Sarg zu legen.
„Hast du noch nie darüber nachgedacht?“ Jared stellte sich hinter die Bahre, während ich die Schwingtüren öffnete, die hinaus in die Halle führen.
„Nein. Eigentlich nicht.“ Wir hatten keine Schwierigkeiten damit, die Bahre zu schieben, und ich war froh, dass Jared so stark war. Durch die Krankheit war ein großer Teil des Bauches verschwunden, den Ron Johnson vor sich hergetragen hatte, aber er war immer noch ein recht kräftiger Mann.
„Niemals?“, bohrte Jared erstaunt nach.
Ich war mindestens ebenso erstaunt darüber, dass er so viele Monate mit mir zusammengearbeitet hatte, ohne mich jemals nach meiner Meinung zu dem zu fragen, was wohl nach dem Tode passierte. „Eigentlich nicht, Jared.“
Der Raum, in dem wir die Einbalsamierungen vornahmen, befand sich im Keller, die Kapelle im Stockwerk darüber. Obwohl ich schon oft geschworen hatte, dass zu den ersten Renovierungen, die ich im Beerdigungsinstitut vornahm, der Einbau eines Fahrstuhls gehören würde, war mir das bis jetzt noch nicht gelungen. Das hieß, dass wir die Bahre auf der Rampe außen am Haus hinauf ins Erdgeschoss schieben mussten. Vor einigen Jahren hatte mein Dad die Rampe überdachen lassen, um diesen Weg vor den Elementen zu schützen, sodass wir nicht mehr mit Eis und Regen kämpfen mussten, aber die Anstrengung, die nötig war, um eine Leiche nach oben oder nach unten zu transportieren, war immer noch beträchtlich. Die weiß gestrichenen Wände zeigten die Flecke und Schrammen unzähliger Zusammenstöße mit der Bahre, und der Holzfußboden war über und über mit Kratzern bedeckt.
In der Kapelle legten wir Mr. Johnson in den Sarg.
Bis zur Aufbahrung waren es nur noch wenige Stunden. Sorgfältig faltete ich seine Hände und kontrollierte, ob das Make-up auch nicht verschmiert war. Als ich mich umwandte, um Jared dabei zu helfen, die Bahre zurückzubringen, starrte er mich an.
„Was ist los?“
„Ich kann einfach nicht glauben, dass du nicht darüber nachdenkst.“ Jared schob die Bahre, sodass ich mich nicht darum kümmern musste, und ich folgte ihm
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