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Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
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für eine Weile.«
    Am nächsten Tag, als ich gerade von meinem Kurs »Über Tod und Sterben« nach Hause kam, rief Peach an. »Tja, wir haben ihn wohl verloren«, erklärte sie. (Wer sagt, dass Gott keinen Sinn für schwarzen Humor hat?)
    »Was ist los, Peach? Wovon redest du?«
    »Andy Miller. Dein Kunde von gestern Abend.« Ich konnte hören, wie sie sich eine Zigarette anzündete, einen tiefen Zug nahm. Der Rauch, den sie in der Lunge behielt, ließ ihre Stimme gepresst klingen: »Offenbar hat ein Diebstahl stattgefunden, während du da warst.« Sie atmete aus, während mein Magen sich vor Schreck zusammenkrampfte. »Gleich nachdem du gegangen warst, fiel ihm auf, dass Sachen fehlten. Seine Uhr, zum Beispiel. Sie hatte neben dem Bett gelegen. Und Bargeld aus einer Schachtel, die er irgendwo verwahrte, ich weiß nicht genau, wo, das hat er nicht gesagt. Einige Schmuckstücke aus dem Zimmer seiner Tochter. Ich sage das nicht, um dir ein schlechtes Gewissen zu machen, Jen. Du hattest nichts damit zu tun. Ich weiß, es war noch ein anderes Mädchen da, von einem anderen Service. Das hat er mir erzählt. Ich weiß nicht, von welcher Agentur, er konnte sich nicht mehr an den Namen erinnern, aber jedenfalls sagt er, er wird nicht wieder zu uns kommen. Nach dieser Geschichte sei ihm die Lust vergangen.«
    Ich versuchte immer noch, die Tatsache zu verdauen, dass der Kunde mich gedeckt und behauptet hatte, es sei seine Idee gewesen,
Sophie zu holen, nicht meine. So rücksichtsvoll sind Kunden in der Regel nicht. »Mensch, Peach, ich hatte ja keine Ahnung.«
    »Natürlich nicht. Woher solltest du auch.« Sie klang völlig unbekümmert. »Das passiert oft in diesem Geschäft. Mach dir keine Gedanken, Jen. Der meldet sich schon wieder. Er wird ein paar Wochen nicht anrufen und es bei irgendeiner anderen Agentur versuchen. Aber dann wird er feststellen, dass wir gar nicht so schlecht waren, und sich wieder melden. Ich kenne das schon. Früher oder später kommen sie alle wieder zurück.«
    Ihre Unbekümmertheit wirkte nicht unbedingt ansteckend auf mich. Sobald ich den Hörer aufgelegt hatte, durchwühlte ich meine Handtasche, bis ich den Zettel gefunden hatte, auf dem ich mir gestern Abend die Nummer des Kunden notiert hatte. »Ähm … Andy? Hier ist Tia. Die Tia von gestern Nacht.«
    Er wirkte nicht überrascht. »Ja, was kann ich für dich tun?«
    Ich schluckte. »Ich habe gerade mit Peach gesprochen. Sie sagte, dass … dass man dich bestohlen hat. Ich wollte sagen, wie Leid es mir tut, dass das passiert ist.« Ich zögerte, aber es kam keine Reaktion, deshalb redete ich weiter. »Peach hat mir auch gesagt, dass du … dass du gesagt hast … ähm, dass Isabelle von einer anderen Agentur kam. Dafür wollte ich dir danken. Ich hätte meinen Job verloren, wenn du ihr die Wahrheit gesagt hättest.«
    »Ja, so ähnlich hab ich mir das vorgestellt.« Es folgte eine winzige Pause. »Hör mal, Tia, es geht mich eigentlich nichts an, aber ich will dir trotzdem einen Rat geben. Du kriegst die Kurve. Ich kann sehen, dass du das Zeug dazu hast, aber du bist kurz davor, einen Riesenfehler zu machen. Halt dich von dem Mädchen fern. Sie geht unter, und sie wird dich mit in die Tiefe reißen, wenn du nicht aufpasst.«
    »Ich glaube nicht …«, stammelte ich.
    Er unterbrach mich. »Hör auf mich. Ich kenne mich damit aus. Ich habe gesehen, was los ist. Ich habe einen Bruder, der zum fünften Mal auf Entzug in der Reha ist, und ich weiß, was du
tust. Es nennt sich Co-Abhängigkeit. Ich weiß das, weil ich es auch eine Weile versucht habe. Du möchtest einer Freundin helfen, und das ist lobenswert. Aber sie ist nicht deine Freundin.«
    Ich dankte ihm und legte auf. Ich nahm es ihm übel, dass er mich gerettet hatte, und diesen Vorteil jetzt ausnutzte, um mir Vorträge zu halten. Ich konnte schon selbst auf mich aufpassen.
    Aber eine Stimme in meinem Hinterkopf sagte etwas ganz anderes. Sophie hatte mich fast meinen Job gekostet. Sophie bestahl mich. Sophie nutzte mich aus. Sophie ermutigte mich, dieselbe Droge zu nehmen, dasselbe zu tun, was ihr selbst so viel Schaden zufügte. Das tun alle Süchtigen, wie ich später herausfand. Sie wollte Gesellschaft auf ihrem Weg in den Tod.
    Andy hatte Recht. Sie war nicht meine Freundin.
    Aber ich wollte, dass sie es war. Vielleicht konnte ich all die schlimmen Dinge zum Verschwinden bringen, indem ich einfach so tat, als ob. Wenn ich nur fest genug daran glaubte, würde sie vielleicht wieder

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