Calling Crystal
Umkleidebereich der Männer geführt, und da er kein Italienisch sprach, wurde er von den vor Ort angeheuerten Visagistinnen wie ein Kind dahin gezogen und geschoben, wo sie ihn haben wollten. Sie genossen es sichtlich, dass ein dermaßen gut aussehender Junge ihnen hilflos ausgeliefert war, und Xav guckte ziemlich belämmert aus der Wäsche.
»Tun Sie mir nicht weh!«, hörte ich ihn betteln, als man ihn in einen Stuhl bugsierte, der vor einem Spiegel stand.
Dem Kichern, das seine Bemerkung hervorrief, entnahmich, dass die Damen mehr Englisch verstanden, als sie erkennen ließen.
Als ich an der Reihe war, erklärte mir die Visagistin, dass nur wenig Make-up aufgetragen würde, da der Großteil meines Gesichts unter einer Maske verborgen bliebe. Die Betonung lag auf blutroten Lippen und Glitzer für die Augenlider.
»Aber Lily hat mich gebeten, dir eine Sonderbehandlung zukommen zu lassen, weil ja noch Fotos von dir gemacht werden sollen, richtig?« Marina, meine Visagistin, trug mit einem Pinsel Rouge auf meine Wangen auf. »Nicht zu viel Farbe, nur so viel, dass deine Gesichtszüge hervorgehoben werden.« Sie trat einen Schritt zurück und war zufrieden mit dem Ergebnis. »Mhm, Lily hat recht: Du hast was. Geh nach der Kostümprobe zu Paolo, dem Hairstylisten – er weiß genau, was du brauchst.«
Xav traf ich kurze Zeit später in einer anderen Nische wieder, wo wir mit Kostümen ausgestattet wurden. Wir erhielten zwei zusammenpassende Outfits: er eine dunkle, goldfarbene Jacke und Kniehosen mit purpurroter Weste sowie einen Umhang, ich ein purpurrotes Kleid mit Goldakzenten, dazu ein Cape. Man drückte mir die Maske in die Hand, die ich bereits kannte – das Wortgeflecht aus roter Seide; Xav bekam eine eher schlichte goldene Halbmaske, die ihm das Aussehen eines hochkarätigen Einbrechers gab.
Als Letztes war das Hairstyling dran. Da wir beide langes Haar hatten, blieb es uns erspart, eine Perücke tragen zu müssen. Xavs Haare wurden einfach miteinem Band zurückgebunden, wohingegen mir eine komplizierte Hochsteckfrisur verpasst werden sollte.
»Du hast wundervolle Haare, Crystal!«, rief Paolo aus und kämmte mit den Fingern durch meine Locken. »Dieses Volumen, diese Struktur. Für das, was ich vorhabe, werden wir noch nicht mal ein Haarpolster benötigen.«
Er drehte mein Haar hoch und steckte es mit unzähligen kleinen Nadeln fest. Dann zupfte er an den Seiten ein paar Strähnchen heraus und drapierte eine lange Locke so, dass sie an meinem Nacken herunter in meinen Ausschnitt fiel. Am Ende sprenkelte er ein bisschen Goldstaub über das Ganze, sodass mein Haar und meine Haut leicht glitzerten. Mit der Maske vor dem Gesicht sah ich aus wie ein exotisches Geschöpf.
Ich trat hinter dem Vorhang hervor und entdeckte Xav, der am Kaffeeausschank auf mich wartete. Als ich ihn so lässig mit den anderen Jungs dastehen sah, den Umhang locker um die Schultern gelegt, fing mein Herz an, einen Tick schneller zu schlagen. Im Vergleich dazu waren moderne Klamotten einfach wahnsinnig öde. In seinem Outfit sah er schon unverschämt gut aus – Mr Darcy als Mantel-und-Degen-Bandit –, aber ich hätte mir eher die Zehennägel ausgerissen, als ihm das zu sagen.
»Und?« Ich drehte mich einmal im Kreis und fand Gefallen an dem mehrlagigen Unterrock, der mir um die Beine wirbelte.
Die italienischen Komparsen überhäuften mich erwartungsgemäß mit Komplimenten, überschwänglichemLob und Beteuerungen ihrer ewigen Ergebenheit, alles mit diesem leisen Augenzwinkern professioneller Aufreißer. Italienische Männer werden von klein auf dazu erzogen, Frauen zu schmeicheln. Xav sah sie mit gerunzelter Stirn an; er konnte zwar nicht verstehen, was sie sagten, erfasste aber den Tenor.
»Xav? Wie lautet dein Urteil?« Ich tippte an seine Maske. »Die habe ich zum größten Teil selbst gemacht.«
»Ja, die ist klasse.« Er blickte über meinen Kopf hinweg.
»Und was ist mit mir?«
Er zwang sich dazu, mich wieder anzusehen. »Zuckerpuppe, du siehst einfach zum Anbeißen aus, aber das weißt du garantiert selbst. Sei vorsichtig: Ich will nicht zu deiner Rettung eilen müssen, wenn du von deinen Bewunderern überrannt wirst. Ich traue diesen Kerlen nicht.«
»Hey Xav, wir sind anständige Jungs!«, protestierte ein Typ namens Giovanni. »Wir graben deine Herzdame schon nicht an.« Er zwinkerte mir zu und wechselte wieder ins Italienische. »Zumindest nicht, solange er hinschaut!«
Ich lachte. »Ich bin nicht seine
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