Calling Crystal
Möglichkeit füruns«, sagte Saul. »Wir fahren ans Haupttor und verlangen, dass man uns unsere Seelenspiegel herausgibt. Das mag zwar alles mittelalterlich aussehen, aber wir befinden uns im modernen Italien. Sie kann sie nicht einfach unter Verschluss halten, wenn sie sich wirklich dort aufhalten sollten.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das der Ort ist, den ich gespürt habe.« Mir liefen Schauer über den Rücken – das Kastell war irgendwie von grausamer Schönheit, wie ein Adler, der auf einem Felsen hockt.
»Worauf warten wir dann?«, fragte Zed, bereits auf halbem Weg zur Tür. »Los geht’s! Wir wollen unsere Mädchen retten.«
Ganz so einfach war es natürlich nicht. Trace und Victor kümmerten sich sofort darum, zwei Wagen zu mieten, die für bergiges Gelände geeignet waren. Da wir nicht wussten, in welcher Verfassung die Mädels wären, beschlossen wir, unser Lager in der Nähe des Anwesens aufzuschlagen, statt sofort die lange Rückfahrt nach Venedig anzutreten. Zed und Yves fanden online ein großes Haus in der Nähe der Villa der Contessa. Zum Glück war die Ferienzeit vorüber und die Skisaison hatte noch nicht begonnen, sodass das Haus in einer Stadt am östlichen Ufer des Gardasees in der Nähe von Monte Baldo noch frei war. Unser Plan war, die Mädchen zu holen und für eine Nacht dorthin zu bringen, damit sie sich erst einmal erholen konnten.
Victor und Uriel boten sich als Chauffeure an. Sie waren neben Will die Einzigen, die keinen Seelenspiegel hatten, der in Gefahr schwebte, und wären vonallen Brüdern beim Fahren am wenigsten mit den Gedanken woanders. Will wurde zum Navigator ernannt mit mir als GPS-Signal, um das Kastell zu orten. Wir gingen zwar davon aus, dass wir recht hatten, was das Anwesen der Contessa betraf, aber es war dennoch möglich, dass ich voreilige Schlüsse gezogen und mit dem Aufenthaltsort der Mädels danebengelegen hatte. Mein Job war es, auf der Rückbank des ersten Autos zu sitzen, mit Xav zur Unterstützung, und mich so gut es ging an Traces Verbindung entlangzuhangeln. Uriel folgte mit Yves, Zed und Saul als Beifahrer.
Als wir die Autos abgeholt und über die Brücke aufs Festland übergesetzt hatten, waren Xav und ich so ziemlich auf uns allein gestellt. Trace hielt Telefonkontakt zu seinen Verbindungsleuten bei den internationalen Strafverfolgungsbehörden. Ich konnte hören, wie er seine Beziehungen spielen ließ und sich auf alle Gefallen berief, die er noch irgendwo gut hatte. Ich hatte angeboten, mit den Italienern zu sprechen, aber er erwiderte, das hätte noch Zeit, bis wir am Gardasee wären. Will und Victor mussten auf die Straße achten.
Xav hatte seinen Arm um mich gelegt und ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Ich genoss diesen kurzen Moment der Entspannung. »Alles okay bei dir? Du machst dir bestimmt Sorgen um deine Mutter?«
Er spielte mit einer Haarlocke, die sich aus meinem eilig zusammengebundenen Pferdeschwanz gelöst hatte. »Ich bin gefühlsmäßig ziemlich durch den Wind. Einerseits mache ich mir Sorgen um Mom und die anderen, andererseits vollführe ich innerlich ein Freudentänzchen,weil ich dich gefunden habe. Ich bin total hinund hergerissen und weiß nicht, was ich zuerst fühlen soll.«
Ich lächelte. Ja, genauso fühlte es sich an. »Ihr gebt ein gutes Team ab, du und deine Brüder, und dein Vater auch. Ich glaube, die Contessa wird ihr blaues Wunder erleben, wenn ihr erst mal bei ihr auf der Matte steht.«
Er küsste meine Hand, dann drückte er sie sich an die Wange. »Danke. Es hilft, dass du an uns glaubst. Und vergiss nicht, wer unsere Geheimwaffe ist.«
Ich wandte meinen Kopf und blickte ihm direkt ins Gesicht. »Glaubst du, dass dein Vater recht hat – mit mir, meine ich?«
»Na, glaubst du es denn?«
»Ich denke schon … Na ja, vielleicht. Ich hab bloß Angst, dass ich als Seelensucher genauso eine Lusche bin wie auf allen anderen Gebieten.«
»Zuckerpuppe, ich warne dich.« Er wackelte mit den Fingern in der Luft.
»Was?«, quietschte ich und versuchte, der drohenden Kitzelattacke zu entkommen.
»Ich werde zu drastischen Mitteln greifen, wenn du dich in meinem Beisein selbst schlechtmachst. Dir wurde vor Kurzem erklärt, dass du ein ganz seltenes, einzigartiges Geschenk an uns Savants bist, und jetzt meinst du, dass du nicht gut genug seist?«
»Aber …«
»Kein Aber. Wann wachst du endlich auf und erkennst, dass du nicht das hässliche Entlein bist, sondern der schöne
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