Calling Crystal
zumindest einiges erklären.«
»Hier entlang.« Roboter James hielt auf eine prachtvolle Flügeltür aus Holz zu. Er drückte sie auf und dahinter eröffnete sich ein wunderschöner altmodischer Salon mit einem riesigen Kamin, in dem ein Feuer brannte, sowie rosenfarbenen Stühlen und Sesseln. Doch nichts von alldem konnte unsere Aufmerksamkeit fesseln, denn in dem Zimmer waren alle Menschen versammelt, die wir gesucht hatten.
»Di! Oh mein Gott, geht’s dir gut?«, rief ich laut und stürzte zu meiner Schwester hinüber. Sie nippte an einem Glas Champagner, anscheinend vollkommen unbeeindruckt davon, dass sie entführt worden war. Ichkannte an ihr weder das altmodische Kleid, das sie trug, noch den Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Tut mir leid, kennen wir uns?« Diamond stellte ihr Glas ab, stand auf und reichte mir zur Begrüßung die Hand. »Oje, Ihr Name ist mir leider entfallen. Gut möglich, dass ich ein winziges Schlückchen zu viel hatte.« Sie blickte mit gespielt zerknirschter Miene auf ihr Glas.
»Diamond – ich bin’s, Crystal. Deine Schwester.«
»Seien Sie nicht albern: Ich bin die Jüngste in meiner Familie. Mama und Dad waren zu alt, um noch weitere Kinder zu bekommen. Allerdings würde Dad nie zugeben, dass Mama für irgendwas zu alt ist: Er vergöttert sie. Und das in ihrem Alter – ganz reizend.« Sie griff wieder nach ihrem Glas und nippte daran; ihre Hand zitterte, als würde ihr Körper etwas wissen, was ihr Hirn nicht begriff.
»Aber Dad ist doch …« Ich ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen; es war zwecklos. Ihre mentale Uhr war neu eingestellt worden und ganz offensichtlich wusste sie weder, dass unser Vater tot war, noch, dass ich überhaupt existierte. Als ich in ihren Geist spähte, war da einfach nur Leere. Alles, was irgendwie mit ihrer Liebesbeziehung zu Trace in Verbindung stand, war ausgelöscht worden – das traf auch auf mich zu, da ich die Romanze von Anfang an mitbekommen hatte. Die Erinnerungen an mich hatte man isoliert, so wie Atommüll, den man tief in Beton vergrub, damit alle anderen Gedächtnisbilder nicht verseucht wurden. Sie war nicht die Einzige, die so inhaltslos war.Phoenix und Sky blickten mich mit höflichem Interesse an; Karla starrte ins Kaminfeuer, ohne zu bemerken, dass ihr Ehemann ins Zimmer getreten war. Er stiefelte zu ihr hinüber und zog sie aus ihrem Sessel hoch.
»Karla, hör sofort auf damit!« Er ging mit seinem Gesicht ganz dicht an ihres heran. »Hör mir zu – finde mich in deinem Geist – in deinem Herzen! Ich bin’s, Saul!«
»Du lieber Himmel, was macht er da?«, rief Diamond aus, ließ mich stehen und eilte zu dem Paar am Kamin. »Sind Sie verrückt? Lassen Sie sie in Ruhe!«
»Saul? Saul wer?«, fragte Karla mit trübem Blick. Sie sah aus, als würde sie unter Drogen stehen – ich wünschte, dass es so einfach wäre, aber dem Zustand ihrer Mentallandschaft nach hatte man bei ihr ähnlich massiv eliminiert wie beim Butler. Und weil Karla den Großteil ihres Lebens mit ihrem Seelenspiegel verbrachte hatte, war jetzt nur noch erschreckend wenig übrig.
Die kleine dunkel gekleidete Gestalt, die auf der anderen Seite des Kamins in einem Ohrensessel saß, stand auf. »Na, wie gefällt Ihnen meine Rache, Benedict?«, fragte sie schadenfroh.
Saul ließ Karlas Arm los und drückte sie sanft in den Sessel zurück. Er hatte mit dermaßen heftigen Emotionen zu kämpfen, dass er nicht in der Lage war zu antworten.
»Wie Sie sehen können, ist jeder Seelenspiegel … nun, wie soll ich sagen … verloren«, fuhr die Contessa fort.
»Nichts ist so stark wie die Verbindung zwischen zwei Seelenspiegeln«, sagte Saul mit leiser Stimme. »Nichts.«
»Außer mir.« Die Contessa richtete ihr Augenmerk auf mich. »Ah, Crystal, du bist sehr viel schneller zurück, als ich dachte. Ich bin erstaunt, dich heute Abend hier zu sehen. Ich hatte nicht erwartet, dass du so bald herauskriegen würdest, wo ich alle hingebracht habe. Meinen Glückwunsch. Ich habe dich unterschätzt. Dein Mangel an Begabung hat mich glauben gemacht, dir mangele es auch an Intelligenz.«
»Warum haben Sie meiner Schwester das angetan?« Ich schluckte gegen den Kloß in meiner Kehle an. »Was hat sie, was habe ich verbrochen?«
»Nichts – und es ist bedauerlich, dass du in diese Sache involviert worden bist. Weißt du, Liebes, um die Seelenspiegel-Verbindung zu löschen, muss man so tief eindringen, dass alles andere in Mitleidenschaft gezogen wird. Es ist so gut
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