Calling Crystal
mir aber nicht anmerken lassen, um keinen Verdacht zu erregen.
»Für Sie ist es umsonst.« Er stimmte ziemlich schief ein Potpourri italienischer Opernarien an. Die Boote und Anlegestellen der Gondolieri wurden für gewöhnlich innerhalb der Familie vererbt; es war ein Jammer, dass er nicht auch eine Prise Musikalität mitbekommen hatte.
Ich überlegte, wann mich das letzte Mal ein singender Mann irgendwohin chauffiert hatte. Das war mit Xav gewesen, als er mich zum Flughafen gebrachthatte. Ich schickte ein Stoßgebet aus, dass ich nicht unsere Seelenspiegel-Verbindung aufs Spiel setzte, indem ich diesen Abstecher in die Höhle des Löwen wagte. Aber andererseits, sprach ich mir selbst Mut zu, war ich auch eine Löwin; ich ging nicht ohne den Schutz meiner eigenen Kräfte da hinein. Das alte Alphaweibchen würde erleben, wie ihre Vorrangstellung durch das neue Weibchen des Savant-Rudels bedroht würde.
Kapitel 18
Ich stand auf den Stufen und schaute dem Gondoliere hinterher, wie er nach Hause fuhr, vermutlich zu einer Schar pausbackiger Söhne, die Arien übten, um eines Tages das Geschäft ihres Vaters zu übernehmen. Wenn mein eigenes Leben doch auch nur so vorhersehbar wäre! Ich drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage.
Keine Antwort.
Es war spät, bestimmt schon Mitternacht. Endete mein großes Abenteuer etwa damit, dass ich bis zum Morgen hier auf den Stufen sitzen würde? Ich besah mir die Mauer. Nach meinem verpatzten Ninja-Auftritt von gestern würde ich sicher nicht den Versuch wagen, dort hinaufzuklettern. Ich läutete noch mal und beließ meinen Finger auf dem Klingelknopf.
Die Anlage knackte. »Ja?«
»Hallo? Können Sie bitte der Contessa sagen, dass Crystal Brook sie gern sprechen möchte.«
Es folgte eine kurze Pause, dann summte das Tor auf.
» Come into my parlour, said the spider to the fly «, murmelte ich leise das alte Gedicht vor mich hin, das mir ungünstigerweise gerade jetzt durch den Kopf spukte. »Halte dich lieber an das Löwenbild, Brook … das gibt dir ein Gefühl von Stärke.«
Der Garten war verlassen. Die dunklen Silhouetten der zueinander versetzt angelegten Buchsbäume muteten an wie ein Schachbrett; die blassgrauen Schatten der Statuen sahen aus wie Figuren, die in der Mitte der Partie, gespielt von Riesen, einfach stehen gelassen worden waren. Ohne die Wärme der Fackeln, die an Diamonds Party gebrannt hatten, war die Insel ein unheimlicher Ort. Ich empfand kurz einen Anflug von Mitleid für den Grafen, der in dieser seltsamen Atmosphäre hatte groß werden müssen. Kein Wunder, dass aus ihm nichts geworden war.
Der Butler öffnete mir die Tür. Falls sich noch andere Hausangestellte in der Villa befanden, bekam ich sie zumindest nicht zu Gesicht. »Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
»Danke.« Ich stand mit den Händen in den Hosentaschen da und hatte das Gefühl, in diesem eleganten Raum total fehl am Platz zu sein.
»Ich werde der Contessa ausrichten, dass Sie hier sind«, ließ der Butler verlauten und schlurfte davon.
Ich schlenderte quer durch den Raum und besah mir eine mit Blattgold verzierte Uhr, die auf einem marmornen Beistelltisch stand.
Crystal? Wo bist du?
Ich machte erschrocken einen Satz, als Xavs verärgerteStimme durch meinen Kopf schoss wie eine Rakete. Ich schnappe nur ein bisschen frische Luft.
Ja, das hab ich mitgekriegt. Phee hat Yves Bescheid gesagt und er hat mich geweckt. Wo genau steckst du?
Oh Xav, du wirst bestimmt sauer auf mich sein. Ich ließ ihn einen Blick auf meine Umgebung erhaschen.
Schweigen.
Xav?
Ja, ich bin noch da. Warum hast du das getan, Crystal?
Ich muss etwas unternehmen, um die Mädchen zu retten. Ich habe einen Plan.
Den du mir nicht mitteilen wolltest?
Nein, weil er mich davon abgehalten hätte. So war’s nicht.
Mach dir nichts vor. Genau so war’s!
Er hatte recht. Ich wäre umgekehrt auch total ausgeflippt, hätte er mich zu Hause zurückgelassen und sich allein in Gefahr begeben.
Oh Gott, tut mir leid.
›Tut mir leid‹ reißt es nicht raus. Und ich hab noch gedacht, wie gut es doch zwischen uns läuft – dass wir ein Team wären.
Das sind wir doch auch …! Ich konnte die Vorstellung, dass ich ihn verletzt hatte, kaum ertragen.
Das ist Bullshit, Crystal. Du willst hier die Heldin sein und setzt dabei die Hälfte meiner Seele aufs Spiel, ohne mich vielleicht mal zu fragen, was ich darüber denke. Das ist für mich kein Team.
Der Butler kehrte zurück und ließ sich seine
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