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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Zitronenkuchen, einen Kuchen mit einer Dörrobstfüllung und eine Apfeltarte (mein einziger Beitrag zu diesem Essen, zwei Tage vor dem großen Tag angefertigt, damit ich Viola am Tag selbst nicht im Weg stand). Alles war festlich auf der großen Anrichte aufgebaut. Trotz der eher beklommenen Stimmung tauchten doch immer wieder wenigstens vereinzelt kleine Inseln von Heiterkeit aus einem dunklen Meer auf.
    Harry bekam das Gabelbein, und während wir darauf warteten, dass SanJuanna die Kuchen aufschnitt, stand er auf und ging um den Tisch herum zu Travis. Es war Brauch an Erntedank, dass zwei mit dem kleinen Finger an diesem Knochen ziehen, und wer das größere Stück bekommt, hat einen Wunsch frei. Ich hatte geglaubt, Travis würde ablehnen, doch er machte mit und erhielt prompt das längere Ende des Knochens. Als wir seinen Wunsch hören wollten, starrte er ins Leere und sagte dann leise: »Ich wünschte, ich hätte einen Esel. Bloß einen kleinen. Und vielleicht ein Wägelchen, das er ziehen könnte. Ich würde ihn Dinkey nennen, Dinkey the Donkey, genau so.«
    »Warum möchtest du einen Esel haben?«, fragte Harry.
    »Weil ich glaube, dass niemand Esel isst. Oder?«
    Mutter sah erschöpft aus. »Nein, Liebes, soweit ich weiß, nicht.«
    »Dann wäre Dinkey in Sicherheit, und alles wäre gut. Das wünsche ich mir.«
    Alle am Tisch schwiegen, außer Jim Bowie, der einen nach dem anderen erschrocken ansah und fragte: »Haben wir Esel gegessen? Das will ich nämlich nicht. Esel haben so hübsche Augen.«
    »Nein, J. B., das war kein Esel«, erklärte ihm Mutter. »Das war Truthahn. Bitte iss jetzt deinen Teller leer, sonst gibt es keinen Nachtisch.«
    »Haben wir Travis’ Truthahn gegessen?«, fragte J. B. weiter.
    »Nein, das war der von jemand anderem«, sagte ich schnell. »Wir haben doch getauscht, weißt du nicht mehr?«
    »Ah, gut. Kann ich nächstes Jahr die Truthähne füttern?«, fragte er unschuldig. Keiner von uns wusste, was er ihm antworten sollte.
    »Nein, das geht nicht«, sagte Mutter schließlich. »Sul Ross ist als Nächster an der Reihe.«
    »Nein«, widersprach ich. »Erst ich, hast du das vergessen?« Noch während ich den Mund aufmachte, fragte ich mich, wie sehr ich meinen Vorstoß wohl noch bereuen würde. Eigentlich hatte ich nur fest entschlossen klingen wollen, doch offenbar hatte mein Tonfall auch etwas Grimmiges, denn plötzlich versiegte die Unterhaltung am Tisch, und alle, selbst Travis, schauten zu mir herüber. Doch das war nun mal Teil meines Abkommens mit Großpapa, der mich vom anderen Ende des Tisches ansah und beifällig nickte.

 
     
     
    Dreiundzwanzigstes Kapitel
     
    DIE AUSSTELLUNG
     
    Wie flüchtig sind die Wünsche und Anstrengungen der Menschen! Wie kurz ist seine Zeit! Wie dürftig werden mithin seine Erzeugnisse denen gegenüber sein, die die Natur anhäuft!
     
     
    Ich hatte keine Wahl. Miss Harbottle hatte den Vorschlag gemacht, dass alle Mädchen der Schule auf der Landwirtschaftsausstellung eine Handarbeit präsentieren, und Mutter hatte den Antrag sofort unterstützt. Also kam sie mit Viola in mein Zimmer, um die diversen Arbeiten zu begutachten, die ich auf mein Bett gelegt hatte: Drei Paar Wollsocken für meine Brüder, ein gehäkeltes Babyjäckchen, das ich an arme Leute verschenken wollte, und ein asymmetrischer Kragen aus Klöppelspitze, der am Anfang reichlich schäbig aussah, gegen Ende hin aber etwas ordentlicher. Außerdem war da noch eine lächerliche kleine Patchworkdecke, ein so schäbiges Ding, dass man meinen konnte, Toddy Gates, Lulas kleiner Bruder, hätte sie gemacht. Mutter wandte sich mit Schaudern ab und beriet sich mit Viola wegen der übrigen Dinge. Seufzend und unter wiederholtem ts, ts, ts entschieden sie sich schließlich für den Spitzenkragen.
    Während sie ihn in Seidenpapier wickelte, überlegte Mutter laut, ob es wohl unbedingt nötig sei, den Familiennamen darauf zu notieren. Als sie aufblickte und unsere schockierten Gesichter sah, fügte sie rasch hinzu: »Doch, ja, selbstverständlich.«
    Bei näherem Nachdenken fand ich es sogar eine tolle Idee, den Namen wegzulassen, deswegen fragte ich: »Glaubst du, man könnte auch anonym teilnehmen? Mir wäre das recht.«
    Mutter errötete. »Sei nicht so dumm. Daran hättest du denken können, während du an dem Kragen gearbeitet hast. Selbstverständlich muss dein Name – unser Name – daran stehen.« Trotzdem sah sie nachdenklich aus. Aber es war auch schon egal, ob sie Miss

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