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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Menschen unter die Nase gerieben zu bekommen. So viel also zu meiner Zukunft in der Spitzenherstellung. Natürlich war das absolut keine Richtung, die mich interessierte, aber nachdem ich mir das von anderen sagen lassen musste, fühlte ich mich seltsamerweise doch unglücklich. Was blieb mir denn noch, wenn mir weder die Wissenschaften noch Hauswirtschaft offenstanden? Wo war dann mein Platz auf der Welt? Doch diese Frage war zu groß und zu erschreckend, um länger darüber nachzudenken, und so tröstete ich mich mit dem, was Großpapa einmal gesagt hatte, als es um die Fossilienfunde einerseits und das Buch Genesis andererseits ging: Etwas zu verstehen sei wichtiger als die Frage, ob es uns gefällt. Mögen sei keine notwendige Voraussetzung für das Verstehen. Mögen war eine völlig andere Kategorie.
    Ich verließ das Zelt. Meine tolle Schleife steckte nach wie vor an meinem Kleid. Sollte ich sie lieber abnehmen? Wenn mir die Arbeit nichts bedeutete, dann sollte mir wohl auch der Preis nichts bedeuten. Meine Hand ging zur Schleife, um sie abzumachen, verharrte dann aber auf halbem Weg. Mein Kopf sagte laut und deutlich: »Nimm sie ab«, doch meine Hand erwiderte unüberhörbar: »Lass sie dran!« Mit der Hand an der Schleife, hin- und hergerissen in meiner eigenen Zwiespältigkeit, ging ich zum Erfrischungszelt. Ich würde mir ein Glas Coca-Cola gönnen, dabei könnte ich weiter darüber nachdenken, was ich nun mit meinem Preis anfangen wollte. Ich war wirklich reif für das als so »köstlich und erfrischend« angepriesene Getränk – über ethische Fragen nachzudenken machte einfach müde.
    In einer langen Schlange standen die Leute an, um die neue Erfindung zu probieren. Meine Laune sank, als sich gleich hinter mir Mr. Grassel, der Postmeister, einreihte.
    »Hallo, Callie«, sagte er munter. »Ich sehe, du hast einen Preis gewonnen. Lass mal sehen.« Er streckte die Hand danach aus, doch ich wich zurück.
    »Fürs Klöppeln«, sagte ich kurz angebunden und schickte noch schnell ein »Sir« hinterher.
    »Deiner Familie geht’s gut?«, fragte er.
    »Ja, allen.«
    Travis kam angelaufen mit einer blauen Preisschleife am Hemd und sah fröhlicher aus als seit langem. Als er sie mir zeigen wollte, packte ich ihn am Arm und zog ihn zu mir in die Warteschlange.
    »Aha, mein Junge, auch eine Preisschleife, zeig her«, sagte Mr. Grassel. »Wofür ist sie denn? ›Bestes Angorakaninchen.‹ Mit Angora kann man ordentlich Geld machen, mein Sohn. Man kann nicht früh genug anfangen, stimmt’s?«
    Travis sah überrascht aus. »Danke, Sir, aber Bunny ist mein Haustier, ich würde ihn nie verkaufen. Er ist das größte, flauschigste Kaninchen, das ich je hatte.«
    »Du musst ihn ja nicht verkaufen«, sagte Mr. Grassel, »du kannst ihn ja zu Zuchtzwecken verleihen und Geld dafür nehmen.«
    Travis sah ihn fasziniert an. Bisher hatte er hauptsächlich seine Kater ausgeliehen, und noch nie hatte ihn jemand auf den Gedanken gebracht, dass mit Jesse James oder Bat Masterson Geld zu machen sei.
    »Und dafür muss man sein Kaninchen ganz bestimmt nicht verkaufen?«, hakte Travis nach.
    »Nein, Travis«, sagte Mr. Grassel. »Du verleihst deinen Bunny einfach an jemanden, der ihn eine Stunde lang zu seiner Kaninchendame in den Käfig steckt.«
    »Und danach kriege ich ihn zurück?«
    »Natürlich kriegst du ihn zurück.«
    »Und dafür gibt es Geld?«
    »Bares Geld. Auf die Hand.«
    »Du lieber Himmel, darauf wäre ich gar nicht gekommen. Meinen Sie, Bunny hätte was dagegen?«
    »Oh«, sagte Mr. Grassel und zwinkerte mit verschmitztem Lächeln, »ich vermute mal, Bunny würde es gefallen, sehr sogar. Er könnte gar nicht schnell genug zur Arbeit hoppeln.« Er kicherte.
    Travis schaute nachdenklich drein, und ich merkte ihm an, dass sich lauter neue Welten in ihm öffneten, während wir langsam zur Theke vorrückten.
    Ich wandte Mr. Grassel den Rücken zu und tat so, als würde ich die rot-weißen Reklamefahnen betrachten, die von der Decke hingen. Er begann dann auch irgendwann ein Gespräch mit den Leuten hinter ihm und ließ uns in Ruhe. Endlich waren wir an der Reihe, und jeder legte sein Fünfcentstück für eine Coca-Cola hin. Vorsichtig trugen wir das schäumende Getränk nach draußen. Travis hielt sein Glas an den Mund und rief: »Oh! Das kitzelt!« Ich hob meins ebenfalls und spürte kleine Luftbläschen, die auf meinen Lippen tanzten. Ich trank einen Schluck und fühlte ein Brennen in der Kehle, brennend und süß und

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