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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Mann saß neben ihm, brüllte ihm irgendetwas ins Ohr und zeigte auf die Knöpfe und Schalter. Er war der Besitzer der Maschine, wie sich herausstellte, und Großpapa bot ihm Geld für das Automobil – erst das Doppelte dessen, was der Mann selbst bezahlt hatte, dann das Dreifache, schließlich das Fünffache –, doch der große Mann wollte einfach nicht verkaufen, um keinen Preis. Ich schlängelte mich ganz nach vorn und zupfte an Großpapas Mantel. Gerade rief der Besitzer noch einmal: »Tut mir leid, ich verkaufe nicht!« und kletterte aus der Maschine.
    Als Großpapa mich sah, sagte er wieder etwas zu dem Besitzer und zeigte auf mich. Ich verstand zwar kein Wort, aber offenbar machte Großpapa dem Mann klar, dass ich zu ihm gehörte, und im nächsten Moment wurde ich hochgehoben und auf den Platz neben meinem Großvater gesetzt. Die Menge schien begeistert, denn gleich erhob sich ein Jubel, der den Höllenlärm endgültig unerträglich machte. Einen Moment lang war ich wie betäubt von dem Krach, und mir fiel erst mal nichts anderes ein, als dass meine Oberschenkel am Leder klebten und ich dringend mein Kleid über die Knie hinunterziehen sollte. Doch schon im nächsten Moment hob mich jemand blitzschnell aus dem Wagen und stellte mich wieder auf den Boden. Großpapa stieg auf der anderen Seite aus, und der große Mann nickte zwei weiteren Zuschauern zu, die eilig unsere Plätze einnahmen. Es kam gar nicht in Frage, dass jemand mit dem Ding fahren könnte – es einfach nur anzusehen, es zu berühren, darin zu sitzen war einfach schon eine überwältigende Erfahrung, auch ohne dass es sich bewegte.
    Großpapa nahm mich bei der Hand, und wir kämpften uns zurück zum Zelteingang. Ich fühlte mich ganz matt und benommen von so viel Lärm und Qualm und Gedränge. Gleich werde ich wissen, wie es sich anfühlt, in Ohnmacht zu fallen, aber wenn es hier drin passiert, dann geht es nur im Stehen, zum Hinfallen wäre gar kein Platz. Das wäre immerhin eine Premiere. Und als ich gerade sicher war, es keine Sekunde länger mehr aushalten zu können, da schafften wir es nach draußen. Nach Luft schnappend stand ich in der frischen Luft.
    »Du hast versucht, die Maschine zu kaufen, oder?«, sagte ich, noch immer schwer keuchend.
    »Er wollte sie nicht verkaufen, um keinen Preis, und ich kann’s ihm nicht verdenken«, antwortete er. »Wir müssen schnell nach Hause. Ich muss der Duryea-Automobilfabrik in Massachusetts schreiben – nein, besser noch, ich rufe dort an –, und einen Wagen in Auftrag geben. Ein Verbrennungsmotor, stell dir das vor! Die Kraft von vier Pferden!«
    »Ich fühl mich nicht so gut«, sagte ich. »Ich glaube, ich muss mich erst einmal ausruhen. Geh du nur schon voraus.«
    Großpapa sah mich prüfend an. »Du siehst erhitzt aus. Bist du sicher, du kommst allein zurecht?«
    »Es ist nichts, das kommt nur vom Rauch«, sagte ich mit schwacher Stimme. Dann wurde es schwarz um mich herum, und ich kippte nach vorn.
     
    Das Thema Ohnmacht hatte mich schon lange beschäftigt. Die Heldinnen in Büchern fielen anscheinend häufig in Ohnmacht, und das sah so aus, dass sie elegant auf eine stets in Reichweite stehende, gut gepolsterte Couch oder in die offenen Arme eines besorgten Verehrers sanken. Diese graziösen Heldinnen schafften es stets, in anmutiger Pose dazuliegen, so als ruhten sie nur aus, und kamen sofort wieder zu sich, sobald man ihnen einen hübsch verzierten Flakon mit Riechsalz einmal kurz unter die Nase hielt.
    Ich selbst hingegen fiel um wie ein geschlachteter Ochse und konnte von Glück sagen, dass ich auf dem Gras landete und mir nicht den Kopf aufschlug. Und wovon ich wieder zu mir kam, war kein Hauch von Riechsalz, sondern kaltes Wasser, das mir jemand ins Gesicht kippte, einen halben Eimer voll. Ich schlug die Augen auf und blickte in den Himmel. Um mich herum stand ein Kreis von Leuten, die alle auf mich herunterschauten. Wie blau der Himmel ist, dachte ich. Da ist eine Zirruswolke, wie Bunnys Fell sieht sie aus. Wieso steht meine Familie da und starrt mich so an? Und welcher meiner blöden Brüder kippt Wasser auf mich?
    »Kätzchen, kannst du mich hören?« Harrys Stimme kam von weit her.
    Ich suchte und fand sein Gesicht, über das aus irgendeinem merkwürdigen Grund Wellen liefen. »Klar kann ich das, Harry«, krächzte ich.
    Neben Harry sah ich Fern Spitty, die eigenartig zitterte. Ihr riesiger Hut verdeckte einen Gutteil des Horizonts. Und obwohl ich sie bestimmt schon ein halbes

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