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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Man konnte darauf warten, bis Mutter die Wände hochging (mich machte es auch wahnsinnig, aber zugegeben hätte ich es nie), was Jim Bowies Vergnügen nur noch steigerte. Oft genug musste Mutter Zuflucht zu mehreren Löffeln ihres Kräuterelixiers nehmen. Sul Ross fragte sie einmal, ob ich den Saft auch trinken dürfe, wenn ich eine erwachsene Dame wäre, und Mutter antwortete: »Ich hoffe, Callie wird ihn nicht brauchen«, was uns sehr rätselhaft war.
    Viola sang mit ihrer Altstimme mit mir in der Küche »Hard Times Come Again No More«, Stephen Fosters berühmtes Lied aus der Zeit des Bürgerkriegs, aber sie weigerte sich, Scott Joplins Musik anzuhören.
    »Musik für Wilde«, sagte sie nur und schnaubte verächtlich. Ich war sprachlos.
     
    Der Tag kam immer näher, an dem Miss Brown ihre Klavierschüler bei einem öffentlichen Vorspiel in der Halle der Konföderierten Helden in Lockhart präsentierte. Zum ersten Mal hielt sie mich für fortgeschritten genug, um ins Programm aufgenommen zu werden. Um ehrlich zu sein: Ich hatte es bloß nicht geschafft, mich mit irgendwelchen Ausreden noch ein weiteres Jahr darum zu drücken. Harry war schon sechs Jahre lang jedes Mal dabei gewesen, und er hatte mir gesagt, es sei kinderleicht. Man müsse nur darauf achten, nicht ins Rampenlicht zu schauen, denn das Licht der Gaslampen könne einen so blenden, dass man glatt von der Bühne fiel. Außerdem musste ich ein Stück komplett auswendig lernen. Miss Brown gab mir Beethovens Ecossaise in G-Dur, ein Stück, dessen Akkorde erstaunlicherweise denen der Rags von Scott Joplin gar nicht so unähnlich waren. Oje, schlimmer denn je zuckte das Lineal. »Handgelenke runter! Finger hoch! Tempo, Tempo, Tempo!« Zischend sauste das Lineal durch die Luft! Dieses Stück lernte ich in Rekordzeit, bald beherrschte ich es im Schlaf. Wie verhasst es mir bald war, muss ich nicht erst sagen. Meine beste Freundin, Lula Gates, musste ein Stück auswendig lernen, das doppelt so lang war, aber sie spielte auch zehnmal besser Klavier als ich.
    Zu diesem wichtigen Tag nähte Mutter mir ein neues weißes Kleid mit Lochstickerei und mehreren Lagen steifer, kratzender Petticoats darunter. Die waren zwar nicht ganz so schlimm wie ein Korsett, aber unter die Folterinstrumente fielen sie allemal. Ich beklagte mich endlos und zerkratzte mir hingebungsvoll die Beine. Auch bekam ich ein neues Paar Stiefel aus cremefarbenem Ziegenleder. Es dauerte zwar ewig, bis sie geschnürt waren, doch wenn ich sie erst einmal anhatte, sahen sie sehr schick aus, und insgeheim war ich sehr davon angetan.
    Miss Brown brachte mir bei, wie ich knicksen sollte. Dazu musste ich mein Kleid seitlich ein wenig anheben und beide Knie leicht beugen.
    »Nein, nein, nein«, sagte sie, »wie du nach deinem Kleid greifst – wie ein Bauerntrampel! Denk an einen Engel, der seine Flügel ausbreitet. Sieh mal, so. Und nun wieder sinken lassen. Langsam! Nicht einfach fallen lassen, Kind – du bist doch kein Stein.« Viele Male musste ich üben, bis sie endlich zufrieden war.
    Doch dann war da noch die Sache mit meinen Haaren. Mutter hatte schließlich doch noch gemerkt, dass meine Haare irgendwie kürzer waren, als sie immer geglaubt hatte, doch ich erklärte ihr, dass sie sich im Laufe des Sommers, vor allem wegen der schrecklichen Kletten, immer wieder verknotet hätten, dass ich gezwungen gewesen sei, einzelne Nester herauszuschneiden und dazu noch ein winziges bisschen mehr, damit die Haare auch überall gleich lang waren. Mutter schaute ziemlich misstrauisch, aber gesagt hat sie nichts. Sie rief nach Viola, die ihr helfen sollte. Gemeinsam verbrachten sie eine gute Stunde damit, mir die Haare zu bürsten und zu Locken zu drehen und mögliche Frisuren zu besprechen, gerade so, als wäre ich gar nicht da. Es war mir schleierhaft, wie jemand so viel Zeit auf Haare verwenden konnte. Aber natürlich durfte ich mich nur leise beklagen, denn jeder von uns war klar, dass dies die gerechte Strafe dafür war, dass ich einfach selbst zur Schere gegriffen hatte.
    Schließlich strichen sie mir eine dicke Schicht Peabody’s Finest Hair Food auf die Haare, ein ekelhaftes, klebriges, schwefelhaltiges Zeug, das angeblich üppige Locken garantierte. So musste ich noch eine geschlagene Stunde in der Sonne sitzen. So etwas , dachte ich, so etwas muss man als feine Dame erleiden?
    Das Einzige, was die Sache erträglich machte, war, dass Großpapa sich meiner in dieser jämmerlichen Lage erbarmte und mir

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