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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Autoren: Jacqueline Kelly
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eins seiner Bücher zu lesen brachte – Faszinierende Flora und Fauna der Antipoden . Auf einem der Bilder war ein Känguru zu sehen, aus dessen Beutel ein Junges hervorschaute. (Frage fürs Notizbuch: Warum haben Menschen so etwas nicht? Das war doch so eine praktische Art, sein Kind bei sich zu haben. Ich versuchte mir Mutter mit J. B. im Beutel vorzustellen. Antwort: Er hätte nie unter ihr Korsett gepasst.) So gern hätte ich ein Känguru gesehen. Genauso wie das Schnabeltier, ein Säugetier, das wie eine absonderliche Kreuzung aus Otter und Ente aussah. Da ich bereits das Glück gehabt hatte, in einem Wanderzirkus in Austin ein Nilpferd zu sehen, war mein Wunsch vielleicht gar nicht so abwegig. Ich überlegte, wie groß die Chance wohl sein mochte, dass mein Wunsch irgendwann in Erfüllung ging, und nährte einen kleinen Hoffnungsfunken in meinem Herzen, während ich da in der Sonne saß und wie ein riesiges Streichholz stank.
    Endlich setzten sie mich in einen Badezuber und kippten mir abwechselnd eimerweise Wasser über den Kopf. Dann scheuerten sie mir den Kopf, bis er wieder sauber war, und drehten mir alle Haare zu Locken mit Hilfe schmaler Baumwollstreifen, die kreuz und quer vom Kopf abstanden, so als hätten sie mit katastrophalem Ergebnis versucht, mir den Kopf zu bandagieren. Ich stank höllisch und sah aus wie jemand, der verwundet aus dem Krieg kam. Wie eine Erscheinung aus dem Jenseits sah ich aus!
    Der arme Jim Bowie brach in Tränen aus, als er mich sah, und ich musste ihn auf den Schoß nehmen und ihm glaubwürdig versichern, dass ich nicht tödlich verwundet war. Sul Ross nannte mich so lange Old Golliwog, nach der Negerpuppe im Bilderbuch, bis ich ihn erwischte und mich auf ihn kniete. Lamar kicherte, und selbst Harry schmunzelte. Nichts machte mir mehr Spaß, als meine Brüder zum Lachen zu bringen.
    Nachts schlief ich schlecht auf diesen dicken Stoffstücken, und am Morgen wachte ich unausgeruht und schlecht gelaunt auf. Mutter beschloss, es sei sinnlos, mir eine Frisur zu machen, bevor wir in Lockhart ankamen, und so musste ich eine weitere Kränkung ertragen und auf der Fahrt mit der Kutsche eine enorme Rüschenkappe über meinen Stoffpapilloten tragen. Richtig monströs sah ich aus mit diesem riesigen Kopf. Wie Lula Gates’ Bruder, der arme, zurückgebliebene Toddy, der einen Wasserkopf hatte. (Frage fürs Notizbuch: Woher kam das Wasser in Toddys Gehirn? Hatte Mrs. Gates zu viel getrunken, während sie mit ihm schwanger war?) Ich betete inständig, dass wir unterwegs niemanden trafen, der mich kannte, doch dann hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich Gottes Aufmerksamkeit von wichtigen Angelegenheiten abgelenkt hatte wegen etwas, wobei es schließlich nur um meine Eitelkeit ging. Je weiter wir uns Lockhart annäherten, desto nervöser wurde ich, aber Harry versicherte mir immer wieder, es sei alles ein Kinderspiel.
    Wir fuhren vor der Halle vor, und sobald die Pferde still standen, sprang ich vom Wagen und raste zum Hintereingang, bevor die Leute auf mich aufmerksam werden konnten. Mutter und Viola kamen hinter mir her mit einem Körbchen voller Haarnadeln und Schleifen und Brennscheren. Sie setzten mich auf einen Hocker und machten sich an die Arbeit, indem sie mir erst einmal die Stoffstreifen aus den Haaren rissen. Außer mir waren noch andere Mädchen da, die auf dieselbe Weise gemartert wurden, was die Sache nicht ganz so schlimm wie befürchtet machte. Mrs. Ogletree putzte sogar ihren Georgie heraus, den sie in einen dunkelgrünen Samtanzug gesteckt hatte, in dem er aussah wie er kleine Lord Fauntleroy. Er zappelte aufgeregt auf seinem Hocker herum, und seine blonden Ringellöckchen hüpften über den Spitzenkragen.
    Lula zitterte und presste sich einen Blecheimer an die Brust; sie sah aus, als würde ihr jeden Moment schlecht werden. Die identischen Zwillinge Hazel und Hanna Dauncey sahen identisch grau-grün im Gesicht aus – interessant. Der Anblick von so viel offensichtlicher Verzweiflung bei den anderen munterte mich direkt ein bisschen auf.
    Miss Brown rauschte in einem neuen und höchst unvorteilhaften Kleid in Chartreusegrün herein und klatschte in die Hände, um auf sich aufmerksam zu machen. »Kinder! Mütter! Attention, s’il vous plaît! «
    Sofort herrschte völlige Stille. Kein Laut, kein Quietschen, kein Rascheln war zu hören, nicht einmal vom zappeligen Georgie. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass Miss Brown auf ihre anderen Schüler genauso
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