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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Autoren: Jacqueline Kelly
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ich dir sagen: Alkohol nennt man nicht umsonst Feuerwasser. Kaum war er unten, bekam ich den schlimmsten Hustenanfall der Welt, wie eine Explosion war das, und das Zeug brannte mir ein Loch in die Speiseröhre. Ich fühlte mich, als stünde ich von einem Moment zum anderen in Flammen. Kann sein, dass ich umgefallen bin, aber so genau weiß ich das nicht mehr, weil ich so mit Husten beschäftigt war. Ich weiß aber noch, dass Großpapa mich auf die Lehne seines Sessels gesetzt und mir minutenlang auf den Rücken geklopft hat, bis ich wieder Luft bekam. Bestürzt sah er mich an, doch langsam ließ mein Husten nach, bis er nur noch stoßweise kam und schließlich zu einem Schluckauf wurde, der mich schier zerriss.
    Dann betrachtete Großpapa mich forschend. »Geht es dir gut? Ich nehme an, du hast noch nicht gelernt, wie man Alkohol bei sich behält. Hier«, – er zog ein Pfefferminz aus der Westentasche – »davon geht’s dir gleich besser.«
    Ich nickte und hickste wieder und sog heftig am Pfefferminzbonbon, während mir die Tränen übers Gesicht strömten und die Nase unaufhaltsam lief.
    »Oje, oje«, sagte Großpapa, zog ein großes weißes Taschentuch hervor und hielt es mir unter die Nase. »Schnaub mal«, sagte er. Ich trompetete kräftig und fühlte mich ein bisschen besser. Großpapa goss mir ein Glas Wasser aus einer Karaffe ein, die er immer griffbereit stehen hatte, um den ekligen Geschmack seiner Experimente wegzuspülen.
    Er klopfte mir auf den Rücken. »Ist ja gut. Und nun muss ich meine Beobachtungen ins Protokoll einzutragen. Und du als meine Mitarbeiterin darfst an diesem großen Tag auch etwas aufschreiben.«
    Er zog eine Lampe heran und schrieb in das linierte Rechnungsbuch. Seine Stahlfeder kratzte über die Seite. Das Buch war schon angefüllt mit den Einzelheiten seiner gescheiterten Versuche. Schließlich reichte er mir die Feder. »Hier, erst notierst du Datum und Uhrzeit, in dieser Spalte dann deine Beobachtungen, und darunter kommt deine Unterschrift.«
    Im Schönschriftunterricht in der Schule waren wir erst kürzlich vom Bleistift zur Tinte übergegangen. Ich hatte Angst zu klecksen, doch gemessen an dem, was ich gerade hinter mir hatte, war meine Schrift dann gar nicht so schlecht.
     
    Versuch Nr. 437: 21. Juli 1899. Es war sehr gut
    Calpurnia Virginia Tate
     
    Großpapa betrachtete meinen Kommentar. Ich hickste.
    »Calpurnia«, sagte er und sah mich an. »Als Wissenschaftlerin musst du bei deinen Beobachtungen immer ehrlich sein.«
    Er hielt mir noch einmal die Feder hin, und ich schrieb in die nächste Zeile:
     
    Könnte Husten hervorrufen.
     
    Kein sehr origineller oder bedeutsamer Eintrag, ich geb’s zu. In Wahrheit hatte mich das Zeug eben fast umgebracht, aber das konnte ich ja schlecht aufschreiben. Großpapa drehte das Protokollbuch zu sich, um den neuen Eintrag zu lesen, und schmunzelte.
    »Allerdings«, sagte er. »Und es war meine Schuld. Am besten, wir sagen Margaret und Alfred nichts davon. Die beiden haben bedauerlicherweise keinen Sinn für die wesentlichen Grundsätze der wissenschaftlichen Forschung oder die Opfer, die zu bringen man bereit sein muss.«
    Mit offenem Mund starrte ich ihn an und dachte: Meinen Eltern davon erzählen? Ist er verrückt? Lieber trink ich ein ganzes Fass von dem Zeug.
    Gleich darauf läutete Viola an der Küchentür ihre Glocke. Es war Zeit, dass wir uns zum Essen fertig machten. Ich fühlte mich ein bisschen schwindlig, und hicksen musste ich auch wieder. Großpapa und ich sahen uns an.
    »Hier«, sagte er, »nimm lieber noch ein Pfefferminzbonbon.«
    Wir gingen ins Haus, und ich schaffte es, mir unbemerkt die Hände zu waschen und eine saubere Schürze anzuziehen. Dann gingen wir nacheinander ins Esszimmer. Vater zog für Mutter den Stuhl heraus, und wir setzten uns alle. SanJuanna kam herein und wartete an der Anrichte darauf, dass sie bedienen konnte. Mein Vater setzte an, den Segen zu sprechen, und alle senkten den Kopf.
    »Himmlischer Vater, wir danken dir für –«
    Hicks .
    Dieses Mal war es nur ein ganz leiser Hickser gewesen, und er wäre vielleicht gar nicht aufgefallen, wenn meine verflixten Brüder nicht gewesen wären. Travis und Lamar wurden unruhig, und Jim Bowie äugte über seine gefalteten Hände hinweg zu mir herüber. Mutter funkelte sie an, und sie wurden still.
    »– für deine große Güte, mit der du uns reich bescherst, für die Speise auf unserem Tisch, die –«
    Hicks.
    Meine Brüder
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