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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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»Du bist hier die Naturkundige. Aber ich vermute mal, nur ein paar Wochen.«
    In dem Moment kam Mutter aus der Küche. Sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte Petzis Glas ungläubig an.
    »Was ist das für ein grässlichesDing, Calpurnia?«, fragte sie, und dabei schraubte sich ihre Stimme in die Höhe.
    Ich stieß einen Seufzer aus. »Das ist Petzi, Mutter. Aber«, fügte ich mit künstlicher Munterkeit hinzu, »du kannst auch Belle zu ihr sagen, wenn dir das besser gefällt.« Als könnte ein schöner Name das groteske Aussehen irgendwie überdecken. Ein trockenes Rascheln von Petzis Flügeln, und Mutter trat einen Schritt zurück. Den Blick konnte sie jedoch nicht von ihr abwenden.
    »Was ist denn mit deinem … deinem schönen Schmetterling passiert?«, fragte sie.
    »Na ja, ist es wohl doch eine Motte und kein Schmetterling geworden«, sagte ich und hielt ihr das Glas hin, damit sie ihn sich besser ansehen konnte, doch sie trat gleich noch einen Schritt zurück.
    »Bring sie sofort raus. Das ist eine Motte, du lieber Himmel! Stell dir vor, was ein Schädling von dieser Größe in unseren Wollsachen anrichten würde.« Ich hatte völlig vergessen, dass Mutter und SanJuanna einen endlosen, wütenden Kampf austrugen gegen Horden der kleinen braunen Motten, die sich unserer Wolldecken und Winterkleidung bemächtigten. Zedernholzschnipsel und Lavendelöl waren ihre einzigen Waffen, und damit richteten sie kaum etwas aus gegen den unaufhörlichen Angriff der Natur.
    »Diese hier frisst keine Wolle, Mutter«, sagte ich. »Wenigstens glaube ich das nicht. Sie frisst nur Nektar, oder vielleicht auch gar nicht, je nachdem, zu welcher Spezies sie gehört. Manche fressen nämlich gar nichts mehr, wenn sie erst einmal ausgewachsen sind. Ich hab’s noch nicht herausgefunden.«
    Mutter hob beide Hände. »Lass sie auf keinen Fall frei, solange du mit ihr im Haus bist. Sie muss nach draußen, hast du mich verstanden?«
    »Ja, Mutter.«
    Sie presste eine Hand an die Schläfe, drehte sich um und ging nach oben.
    »Schade«, meinte Harry. »Ich hätte sie gern in der Haustierschau gesehen. Nur hereinspaziert, meine Damen und Herren, hier sehen Sie Calpurnia Virginia Tate und ihr Haustier, eine Riesenmotte!«
    »Sehr witzig. Ich muss sie also freilassen, aber erst muss ich sie noch Großpapa zeigen.« Ich schaute erst in die Bibliothek, doch da war er nicht. Um in sein Laboratorium zu kommen, konnte ich entweder zur Haustür hinausgehen, das war der lange Weg, oder die Abkürzung durch die Küche nehmen, wobei ich allerdings riskierte, dass meine Motte noch mehr Abscheu erregte und ich noch mehr erklären müsste. Egal – ich klemmte mir das Glas unter den Arm und marschierte durch die Küche. Viola warf nur einen Blick zu mir herüber, und sofort fragte sie: »Was hast du da?«
    »Oh, nichts«, sagte ich und ging schnell zum Hinterausgang hinaus. Petzi bewegte sich wieder, ich hörte es rascheln. Wenn sie doch bloß still sitzen würde! An ihren Anblick hatte ich mich inzwischen gewöhnt, aber dieses Geräusch …! Es hatte etwas Unheimliches, Urzeitliches an sich, und ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut.
    Großpapa beugte sich über das Buch, in dem er die Ergebnisse seiner Experimente notierte.
    »Hallo, Großpapa«, sagte ich, »sieh mal, was ich hier habe.« Ich hielt ihm das Glas hin.
    »Du meine Güte, das ist wirklich ein gewaltiges Exemplar, das du da hast. Eine Motte von dieser Größe habe ich noch nie gesehen. Hast du schon bestimmen können, zu welcher Familie sie gehört?«
    »Ich vermute mal, zu den Saturniidae, aber vielleicht auch zu den Sphingidae«, sagte ich und war stolz, wie gut mir diese schwierigen Wörter über die Lippen kamen.
    »Und was hast du nun mit ihr vor?«
    »Ich wollte sie auf der Landwirtschaftsausstellung vorstellen, bei der Haustierschau, aber Harry glaubt, so lange lebt sie nicht. Und Mutter will sie aus dem Haus haben. Das heißt, ich kann sie entweder töten und für meine Sammlung behalten, oder ich lasse sie frei.«
    Großpapa sah mich an. Dann sahen wir beide Petzi an, wie sie in ihrem engen Glas saß und sich kaum rühren konnte. »Ein schönes Exemplar«, sagte Großpapa. »Mag sein, dass du nie wieder so eine findest.«
    »Ich weiß«, sagte ich nachdenklich. »Du hast mich gewarnt, ich sollte ihr keinen Namen geben. Aber ich habe sie so weit aufgezogen, ich glaube, ich kann sie nicht töten.«
     
    Als es dämmerte und wir uns auf dem Rasen einfanden, um auf das erste

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