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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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du?«
    »Nur so.«
    »Wie kommst du bloß auf solche Sachen? Manchmal machst du mir wirklich Angst.«
    »Ich? Ich mach dir Angst?«
    Der Gedanke, ich könnte dem größten, stärksten meiner Brüder Angst machen, war zum Lachen. »Ich habe an Petzi gedacht, daran, wie sie ihre Körperteile neu sortiert, und deshalb musste ich an alles Lebendige denken und deshalb auch an alles, was tot ist. Also, wenn das nächste Mal in der Stadt eine Beerdigung ist, dann nimmst du mich mit, ja?«
    »Callie Vee.«
    »Da ist doch nichts Gruseliges dabei. Bloß aus rein wissenschaftlichem Interesse. Backy Medlin zum Beispiel, der sieht schon ganz schön hinfällig aus. Was meinst du, wie alt ist der?«
    »Warum gehst du nicht selber zu ihm und inspizierst seine Zähne?«
    »Gute Idee, Harry, ich fürchte nur, er hat keine mehr. Der stirbt sicher bald, glaubst du nicht?«
    Auf meinem Schulweg kam ich jeden Tag morgens und mittags an Backy Medlin vorbei. All die alten Knacker saßen auf Schaukelstühlen auf der Galerie vor der Cotton Gin, kauten ihren Kautabak und spuckten aus, erzählten die alten Geschichten vom Krieg und unterbrachen einander keifend – nein, so war das nicht, das war völlig anders. (Backy kaute besonders eifrig, er war aber ausgesprochen schlecht im Spucken und verfehlte den Spucknapf regelmäßig. Da er häufig, kräftig und immer auf gut Glück spuckte, liefen in seiner Nähe immer eklige braune Rinnsale durch den Staub, und man musste höllisch aufpassen.) Niemand beachtete die Männer weiter. Manchmal, wenn sogar sie selbst ihr Gequassel leid wurden, wandten sie sich dem Domino zu. Sie spielten mit uralten holzgeschnitzten Steinen, die von zahllosen Spielrunden so abgegriffen waren, dass die Menge der Punkte kaum zu erkennen war. Die Steine klapperten auf den Steinfliesen, und von Zeit zu Zeit stieß einer der Alten ein »Ha!« aus, dann wusste man, ihm war soeben ein besonders guter Wurf geglückt.
    »Also, was ist, nimmst du mich nun mit zu Backys Beerdigung?«, fragte ich.
    »Wirklich, Callie«, antwortete Harry, »so etwas solltest du nicht sagen, das ist nicht nett.«
    »Ich wünsche ihm ja nicht, dass er stirbt, ich bin bloß neugierig. Großpapa sagt, ein neugieriger Geist ist un-, ein Unding-, ich meine, unab-«
    »Unabdingbar?«
    »Genau, so was braucht man jedenfalls für ein wissenschaftliches Verständnis der Welt.«
    »Na schön. Hast du heute eigentlich schon Klavier geübt? Miss Brown kommt morgen.«
    »Du redest schon wie Mutter. Nein, ich habe noch nicht geübt, und ja, ich mach’s jetzt gleich. Aber, Harry – wie lange haben wir eigentlich noch Unterricht, du und ich? Ich bin’s langsam leid. Wieso sind nicht mal die anderen an der Reihe? Ich hab wirklich Besseres zu tun.«
    »Besseres mit Großvater, meinst du.«
    »Ja.«
    »Ich hab dich schon einmal gefragt, aber keine Antwort bekommen – worüber redest du denn mit ihm?«
    »Mensch, Harry, über alles Mögliche. Insekten und Schlangen, Katzen und Kojoten, Bäume und Schmetterlinge und Kolibris, Wolken und Wetter und Wind, Bären und Otter – die sind hier allerdings eher selten. Über Walfangschiffe und …«
    »Schon gut.«
    »… die Südsee und den Grand Canyon. Über die Planeten und die Sterne.«
    »Okay, okay.«
    »Außerdem über die Prinzipien des Destillierens. Du weißt doch sicher, dass er versucht, Whiskey aus Pekannüssen zu brennen, oder? Allerdings klappt das noch nicht richtig, aber sag nicht, dass ich das gesagt habe.«
    »Schon kapiert«, sagte Harry.
    »Außerdem Newtons Gesetze, Prismen und Mikroskope und …«
    »Ich hab’s kapiert, sagte ich.«
    »Schwerkraft, Reibung, Linsen …«
    »Es ist wirklich genug.«
    »Die Nahrungskette, der Regenkreislauf, die natürliche Ordnung. Harry, wo gehst du denn hin? Kröten und Kaulquappen, Eidechsen und Frösche. Geh nicht weg! Da gibt es noch was, das nennt man Mikroben, oder Keime, ich hab sie unterm Mikroskop gesehen. Dann noch Schmetterlinge und Raupen, und damit wären wir bei Petzi, ganz wichtig. Harry?«
     
    Am nächsten Morgen weckte mich ein ganz zartes Kratzen, wie von einer Maus an der Wand, doch es kam von Petzis Glas. Es war noch so dunkel in meinem Zimmer, dass ich nichts sehen konnte, also zog ich die Vorhänge zurück und stellte das Glas auf die Fensterbank. Der Kokon ruckte hierhin und dorthin. Während es langsam heller wurde im Zimmer, fraß sich die Raupe zappelnd hindurch. Sie merkte gar nicht, dass mein Gesicht direkt am Glas klebte, vielleicht war

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