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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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mit dem Finger auseinander zupfte, und versuchte, etwas zu lernen.
    »Erinnerst du dich noch«, sagte Großpapa, »an die Zottelwicke, die wir vor einiger Zeit gefunden haben? Den möglichen Mutanten?«
    Es war eine ausgesprochen langweilige Pflanze gewesen, aber ich erinnerte mich an sie.
    »Kannst du sie mir suchen?«, fragte Großpapa. »Sie muss noch irgendwo sein. Ich hatte bisher keine Zeit, sie zu pressen.«
    Ich suchte die diversen Gläser und Umschläge durch und kam mit einem unscheinbaren braunen Etwas in einem Glas zurück.
    »Hier ist er«, sagte ich, »der Mutant. Was ist das eigentlich genau?«
    »Mr. Darwin lässt sich ausführlich darüber aus. Bist du noch nicht bis zu dem Kapitel gekommen?«
    Großpapa gegenüber konnte ich leicht eingestehen, wie mühsam ich mit dem Buch vorankam. »Ich bin immer noch beim Kapitel über die natürliche Auslese. Ich brauche viel länger, als ich gedacht hatte. Es ist eine ziemlich zähe Angelegenheit.«
    »Für jemanden in deinem zarten Alter sicherlich«, sagte Großpapa nachdenklich, während er das Glas inspizierte. Dann öffnete er es und kippte die Probe auf ein frisches Stück Löschpapier. »Sei so lieb und reich mir das Vergrößerungsglas.«
    Eine ganze Weile untersuchte er den Mutanten, dann machte er: »Hm, hm.« Das allein war schon merkwürdig genug. Normalerweise sprach mein Großvater in vollständigen Sätzen.
    »Hmmm?«, fragte ich.
    »Lass uns mal ins Freie gehen und uns das hier genauer ansehen.« Der Himmel war noch immer bedeckt, trotzdem war das Licht draußen besser als in dem düsteren Laboratorium.
    Wir gingen also hinaus und betrachteten die Pflanze eine ganze Zeitlang durch das Vergrößerungsglas. Ich wartete geduldig ab, doch irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.
    »Was ist es denn, Großpapa?«
    Nachdenklich antwortete er: »Ich weiß es wirklich nicht.« Das war jetzt noch merkwürdiger. Großpapa wusste immer alles. »Da scheint ein kleines, hakenförmiges Blatt zu sein, das von einem Blattknoten abhängt, doch das ist schwer zu sagen, es ist schon so vertrocknet. Ich erinnere mich nicht, je in einer Beschreibung der Wicke etwas über so ein Blatt gelesen zu haben. Und ich kann mich auch nicht entsinnen, es in einer Zeichnung gesehen zu haben, dabei haben wir ganz ausgezeichnete Darstellungen im großen Pflanzenatlas von Dr. Mallon.«
    »Aber was bedeutet das?«
    »Schwer zu sagen, das Blatt ist so trocken. Es mag sich um eine Anomalie handeln, es kann auch gar nichts bedeuten.« Er sah mich an. »Es ist aber auch möglich, dass wir eine völlig neue Spezies entdeckt haben.«
    »Nein!«, hauchte ich.
    »Möglich ist es. Setzen wir uns erst mal und trinken etwas, dabei können wir über die Sache nachdenken.« Wir gingen zurück in die Bibliothek, Großpapa legte die Pflanze auf die Ablage und ließ sich in seinen Sessel sinken. Die Sprungfedern quietschten laut, normalerweise hätte ich gekichert. Großpapa konnte seinen Blick gar nicht von der Wicke lösen.
    »Ich habe hier eine Flasche für besondere Anlässe, auf dem obersten Regal in der Ecke«, sagte er. »Sei so lieb und hol sie mir herunter, ja?«
    Auf der schweren grünen Glasflasche lag der Staub von ewigen Zeiten. KENTUCKY’S FINEST BOURBON WHISKEY stand auf dem brüchigen Etikett, neben dem Bild eines springenden Vollbluts.
    Großpapa schenkte sich reichlich ein, leerte sein Glas auf einen Zug und wiederholte das Ganze. Als er ein drittes Mal eingeschenkt hatte, reichte er mir das Glas. Mich schauderte bei dem Gedanken an meinen ersten Whiskey – Könnte Husten hervorrufen. Allerdings. Doch Großpapa war tief in Gedanken und sah gar nicht, dass ich höflich abzuwinken versuchte. Also nahm ich das Glas und stellte es beiseite. Dann wartete ich atemlos ab.
    Es dauerte lange, bis er flüsterte: »Nun denn. Auf diesen Tag warte ich schon so lange.« Er sah auf. »Und nun ist er da.«
    »Bist du sicher?«, flüsterte ich zurück. »Was müssten wir denn tun, um es ganz genau zu wissen?«
    »Wir müssen ein frisches Exemplar finden und es Wurzeln treiben lassen. Wir müssen eine detaillierte Zeichnung anfertigen. Wir müssen auf einer Karte die exakte Stelle markieren, wo wir die Pflanze gefunden haben. Und schließlich müssen wir sie fotografieren lassen und an das Smithsonian schicken, später vielleicht auch einen Ableger. Und dann werden wir ja sehen.« Er holte tief Luft. »Magst du noch einen Drink?«
    »Nein, danke, Großpapa, aber du könntest dir ruhig noch einen

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