Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
Vom Netzwerk:
genehmigen.« Ich reichte ihm sein Glas zurück.
    »Ja, das könnte ich«, sagte er. »Das könnte ich wirklich.«
    Er trank, und wir beide sahen uns an. »Und nun an die Arbeit«, sagte Großpapa dann. »Zuerst suchen wir eine frische Pflanze, damit wir unsere Dokumentation vervollständigen können. Wir brauchen mehrere gleiche, damit wir eine aussagefähige Probe haben. Wo hatten wir diese Wicke gefunden?«
    Ich griff nach dem Glas und schaute auf das Etikett. Unter dem Wort »Mutant«, dort, wo ich immer den Fundort notiert hatte, so wie Großpapa es mir beigebracht hatte, stand … nichts. Der Boden unter meinen Füßen gab nach. Mir blieb die Luft weg. Ich hatte einen Schleier vor den Augen. Eine Sekunde lang sah ich zur Seite, um meinen trügerischen Augen Gelegenheit zu geben, mit diesen Tricks aufzuhören, damit sie endlich das sahen, was da sein musste . Ich zwinkerte heftig und sah wieder auf das Etikett. Da war nichts.
    Mit einer gewaltigen Willensanstrengung atmete ich tief ein, und Luft floss in meine Lunge.
    »Calpurnia, ist alles in Ordnung mit dir?«
    Ich japste wie ein Fisch an Land. »Ähm – nein. Nein. Nein.«
    Er stand auf. »Du hast recht, so ein Moment kann einen schon überwältigen. Vielleicht ruhst du dich kurz aus. Hier!« Er zeigte auf seinen Stuhl.
    Ich brachte es nicht über mich zu reden. Ich konnte es ihm unmöglich sagen.
    »Soll ich deine Mutter holen?«, fragte er bestürzt.
    Ich schüttelte den Kopf. Langsam bekam ich wieder Luft. »Nein, Großvater.«
    »Brauchst du einen Whiskey?«
    »NEIN!«, stieß ich aus, obwohl mir die Angst fast die Kehle zuschnürte.
    »Ganz ruhig«, sagte er. »Sag mir, was los ist.«
    »Es ist wegen der Wicke«, weinte ich. »Ich hab’s nicht aufgeschrieben. Da steht nichts.«
    Großpapa nahm das Glas und schaute darauf. »Oh, Calpurnia«, sagte er leise. »Oh, Calpurnia.« Jedes seiner sanften Worte traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.
    Ich barg den Kopf in den Händen. »Es tut mir leid«, schluchzte ich. »Ich finde sie wieder, ich finde sie.«
    »Wie ist das passiert?«, fragte er.
    »Ich weiß, was du mir beigebracht hast«, weinte ich. »Ich weiß es. Wir sind vom Fluss gekommen. Ich dachte an Ajax’ Schildkröte. Und ich dachte daran, dass die überleben, die am besten angepasst sind.« Ich zog ein Taschentuch hervor. »Aber ich finde sie, ich verspreche es dir. Bitte sei mir nicht böse, ich werde sie finden.«
    »Ja, das wirst du. Natürlich«, sagte er leise.
    »Ich geh sofort los.«
    »Calpurnia, es wird dunkel.«
    »Ich beeil mich«, sagte ich, sprang auf und griff nach dem Glas. »Wo ist ein Bleistift? Ich brauch einen Bleistift. Hier muss es doch einen Stift geben.« Ich redete ohne Unterlass.
    »Halt, halt. Für heute ist es zu spät. Wir müssen morgen losgehen. Setz dich erst einmal und beruhige dich. Versuche dich zu erinnern. Du hast gesagt, wir kamen vom Fluss«, versuchte er mir auf die Sprünge zu helfen.
    Ich setzte mich wieder.
    »Schließ die Augen«, sagte er, »und stell dir die Landschaft vor.«
    Ich schloss die Augen, doch ich war noch zu aufgewühlt. Ich hörte auf seine Worte und versuchte, endlich gleichmäßiger zu atmen. »Wir haben das Mikroskop benutzt. Am Seitenarm des Flusses.«
    »Ich erinnere mich«, sagte Großpapa. »Atme tief durch. Sei ganz ruhig und denke nach. Wir kamen vom Flussarm zurück.«
    »Wir kamen vom Flussarm zurück«, echote ich. »Das stimmt. Ajax hatte eine Schildkröte gefangen, zum ersten Mal überhaupt, und ich hab sie ihm weggenommen, das weiß ich noch. Du hast ihn weggeführt, damit ich die Schildkröte zurück ins Wasser bringen konnte. Dann … dann war noch irgendwas mit Ajax … aber das weiß ich nicht mehr.«
    »Es fällt dir ganz bestimmt wieder ein«, sagte Großpapa. Seine Stimme beruhigte mich.
    Ajax und der Mutant. Der Mutant und Ajax. Ich wusste, ich war auf der richtigen Spur. Eins hatte mit dem anderen zu tun, doch wie? Ich lief die Pfade meines Gedächtnisses ab wie ein Jagdhund, der einen verlorenen Geruch wieder aufspüren will. Mal hierhin, mal dorthin, doch alle Wege führten zu nichts. Was hatte Ajax gemacht? Mir war so, als wäre es irgendetwas Dummes gewesen – andererseits machte er auf seine tapsige, gutmütige Art meistens irgendetwas Dummes, sodass mir das auch nicht weiterhalf. War er nicht unterwegs gewesen, um Matilda den Hof zu machen? Doch was geschah dann?
    »Ach«, stöhnte ich, »es fällt mir einfach nicht ein. Es ist irgendwo hier drin« – ich

Weitere Kostenlose Bücher