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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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demnächst aus dem Bau kommen, um seine Runden zu drehen und die örtlichen Maulwürfe und Taschenratten in Angst und Schrecken zu versetzen. Während ich ein paar Schritte weiterhumpelte, dachte ich nach. Wir waren vom Fluss gekommen und hatten den Heimweg eingeschlagen. Also hatten wir … richtig, in die Richtung gehen müssen. Ich humpelte weiter, ohne den Blick vom Boden zu lösen. Und da – direkt neben mir – war eine kleine Ansammlung von Pflanzen, das konnten Wicken sein. Ich sank auf die Knie und betete dabei, lass sie es sein, das muss sie sein, bitte, bitte, mach, dass sie es ist. Mit den Fingernägeln kratzte ich den harten, trockenen Boden auf und versuchte, die Erde zu lockern, dass ich die Wurzeln so weit wie möglich freilegen konnte. Was war ich doch für ein Idiot, wieso hatte ich keine Schaufel und kein Glas mit Wasser mitgebracht!
    Nach gut fünf Minuten Anstrengung, in denen mein Atem vor lauter Aufregung immer schneller ging, hatte ich es geschafft. Die Wurzel war fast intakt, als ich die Pflanze aus der Erde zog. Fix und fertig ließ ich mich auf die Fersen sinken, ohne auf den Schmerz in den Knöcheln zu achten. Ich hätte gern länger ausgeruht, wären da nicht dieser unbeschreiblich widerliche Gestank und das laute Schnaufen ganz in meiner Nähe gewesen. Ich drehte den Kopf und sah den Dachs auf mich zutrollen.
    Für ein lädiertes Mädchen mit einem so kostbaren Schatz in der Hand war ich ganz schön schnell.
     
    Viola stand gerade auf der hinteren Veranda und läutete ihre Glocke, als ich in unsere Einfahrt einbog. Es würde Ärger geben, weil ich zu spät zum Essen kam, und dazu noch so verdreckt. Nicht pünktlich zum Essen zu erscheinen zählte in unserer Familie zu den ernsthaften Vergehen, doch wenn ich sofort hineinging, dann würde ich erst einmal lauter Erklärungen abgeben müssen, und dann würde es nur noch länger dauern bis zu dem alles entscheidenden Moment, wenn ich die Wicke endlich in Wasser stellen konnte. Also verzog ich mich zwischen die Bäume und ging in einem weiten Bogen ums Haus herum zum Laboratorium. Dass ich mich dadurch nur noch mehr verspätete und noch schlimmere Folgen zu erwarten hatte, war mir klar.
    Im Laboratorium war es dunkel. Auf dem hohen Arbeitstisch standen mehrere leere Gläser und eine Karaffe mit Trinkwasser. Ich goss Wasser in ein Glas und dachte: Bitte, lass es die richtige sein. Wenn nicht, muss ich mich umbringen. Das oder von zu Hause weglaufen. Auf dem Weg zum hinteren Hauseingang versuchte ich mich zu erinnern, wie viel Geld ich in der Blechschachtel hatte, die unter meinem Bett versteckt war. Als ich zuletzt gezählt hatte, waren es siebenundzwanzig Cent gewesen, die ich für den Jahrmarkt gespart hatte, der immer während der Landwirtschaftsausstellung in Fentress stattfand. Sehr weit würde ich allerdings nicht kommen mit siebenundzwanzig Cent. Sei nicht so pessimistisch, Calpurnia. Es muss einfach die richtige sein, fertig.
    Als ich zur Tür hereintrat, holte Viola gerade den Braten aus dem Ofen. SanJuanna stand schon bereit, um ihn ins Esszimmer zu tragen.
    »Du kommst spät«, sagte Viola. »Wasch dich hier drinnen.«
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Ist Mutter böse?«
    »Und wie.«
    Ich pumpte Wasser am Spülbecken in der Küche und attackierte meine Hände mit der Nagelbürste.
    »Tut mir leid.«
    »Hast du schon gesagt.«
    Ich sah an mir herab auf meine verdreckte, zerrissene Schürze.
    »Zieh das aus«, sagte Viola. »Geht jetzt nicht anders. Geh rein.«
    Ich zog die Schürze aus, hängte sie an den Haken neben dem Spülbecken und humpelte hinter SanJuanna und dem Braten ins Esszimmer. Kann sein, dass ich mein Gehinke ein bisschen übertrieben habe, denn sobald ich hereinkam, brach die Unterhaltung ab. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern, murmelte »Entschuldigung« und setzte mich auf meinen Platz. Meine Brüder sahen erwartungsvoll zwischen unserer Mutter und mir hin und her.
    »Calpurnia«, sagte Mutter, »du hast dich verspätet. Und warum läufst du so seltsam?«
    »Ich bin in den größten Dachsbau der Welt getreten, ich glaube, ich habe mich verletzt. Es tut mir leid, dass ich so spät bin, Mutter, ehrlich, aber ich habe ewig lange für den Rückweg gebraucht, wegen der Verletzung.«
    »Komm bitte nach dem Essen zu mir«, sagte Mutter.
    Die älteren Brüder wandten sich wieder ihrem Essen zu, offensichtlich enttäuscht, dass es keine öffentliche Bestrafung gegeben hatte. Nur Jim Bowie, unser Kleiner, sagte:

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