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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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rollte ein raffiniertes Regal mit übereinander angeordneten Kameraleuchten bis dicht neben die Pflanze und zündete alle Lichter an, insgesamt neun Stück. Er rollte das Regal hierhin und dorthin, bis er fand, dass das helle Licht im richtigen Winkel auf die Pflanze fiel.
    Dann schaute er durch sein Objektiv und sagte: »Gut, besser bekomme ich es nicht hin. Aber ich warne Sie – Sie müssen mich auch dann bezahlen, wenn Sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind.«
    »Ich verstehe.« Mir schien das nicht fair, aber Großpapa war unbesorgt.
    »Selbst wenn dieses … dieses Dings, das da hängt, nicht zu erkennen ist.«
    »Mr. Hofacket, ich akzeptiere alle Ihre Bedingungen.« Großpapa griff in seine Tasche. »Hier, ich zahle sofort.«
    »Nein, nein«, sagte Mr. Hofacket, »ich wollte nur sicherstellen, dass wir uns so weit verstanden haben.« Er füllte sein Tablett mit Blitzpulver, verschwand unter seinem schwarzen Tuch, und eine Sekunde später hörten wir ein leises Zischen. Der ganze Raum erstrahlte in weißem Licht, das so grell war, dass ich mehrere Sekunden lang geblendet war.
    »Bewegen Sie sich nicht, bevor Sie nicht wieder richtig sehen können«, warnte Mr. Hofacket, als er unter seinem Zelt wieder auftauchte. »Einmal ist eine Dame hier gestolpert und hat sich fast den verdammten Fuß gebrochen.« Er zog die Metallplatte aus der Kamera, wandte sich um und sah mich. »Oje, kleine Miss, entschuldige die Ausdrucksweise. Tu so, als hättest du nichts gehört, und sag bloß der werten Mama nichts davon. Ich bin gleich zurück.« Damit verschwand er mit der Platte in einem winzigen Kämmerchen. Wir hörten ihn klappern und mit Flüssigkeiten hantieren, und einige Minuten später kam er wieder heraus. Mit einer hölzernen Zange hielt er eine wellige Fotografie.
    »Normalerweise bringe ich die Abzüge nicht heraus, solange sie noch nass sind, aber ich dachte, Sie würden das hier gern sehen«, sagte er. »Nicht anfassen!«
    Da war sie, auf der Fotografie vor uns: unsere Pflanze. Und klar zu sehen, unten am Stängel, war es, das überaus wichtige kleine Blatt.
    Ein breites Lächeln erschien auf Großpapas Gesicht. »Eine ausgezeichnete Arbeit, Mr. Hofacket, ganz ausgezeichnet.«
    Mr. Hofacket lief rot an und senkte verschämt den Kopf. Hätte er irgendein Steinchen auf dem Boden seines Ateliers entdeckt, ich schwöre, er hätte danach getreten. »Gefällt es Ihnen?«, murmelte er.
    »Es ist perfekt. Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«
    »Die Form dieses komischen Blatts da unten ist sehr klar zu erkennen.«
    »Bewunderungswürdig, Mr. Hofacket, wirklich bewunderungswürdig. Dann sollten wir jetzt die zweite Aufnahme in Angriff nehmen.« Mr. Hofacket hätte vermutlich noch den ganzen Tag dagestanden und das Lob eingeheimst, das er sich für dieses seltsamste aller Unterfangen verdient hatte. Er stellte die Pflanze vor den schwarzen Bogen und wiederholte das Verfahren. Dieses Mal schloss ich die Augen vor dem Magnesiumblitz, trotzdem sah ich noch ein Feuerwerk, selbst durch meine Lider hindurch. Mr. Hofacket beeilte sich, das nächste Bild in seiner Kammer zu entwickeln und noch mehr Lob zu kassieren. Nachdem er sich nun in unser Projekt einbezogen fühlte, löcherte er Großpapa mit Fragen zu der neuen Spezies, zur Smithsonian Institution, zu Washington und so weiter. Gerade wollte ich unsere Pflanze zurück in die Schachtel stellen, da sagte Großpapa: »Warte, Calpurnia. Mr. Hofacket, bitte noch eine Aufnahme.« Er stellte die Pflanze auf ein elegantes Tischchen aus Korbgeflecht.
    »Calpurnia, stell du dich auf die Seite, ich stelle mich hierher.« Ich strich über meine Schürze, Großpapa über seinen Bart. Ich stellte mich in Positur, kerzengerade und stolz.
    »Luft anhalten«, rief Mr. Hofacket uns zu. »Nicht mehr atmen jetzt. Eins, zwei, drei.«
    Dieses Mal war der Blitz vor unseren Gesichtern so gleißend, dass selbst ein Rhinozeros wie angewurzelt stehen geblieben wäre. Die ganze Welt um mich herum war nur noch weiß. Während Mr. Hofacket ununterbrochen schwadronierte, konnte ich langsam wieder etwas sehen. Er trug alle drei Aufnahmen zum Ladentisch und wollte schon seinen goldenen Stempel mit der Aufschrift HOFACKET – FEINSTE FOTOPORTRÄTS in die linke untere Ecke jedes Bildes setzen, doch Großpapa konnte ihn gerade noch davon abhalten.
    »Mr. Hofacket«, sagte er, »bitte setzen Sie Ihr Siegel auf die Rückseite. Es handelt sich um wissenschaftliche Beweisstücke, da darf nichts anderes

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