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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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wären.
    Großpapa lenkte, während ich die Schachtel mit unserem kostbaren Exemplar auf dem Schoß hielt. Obwohl der Himmel bedeckt war, schützte ich mit einem von Mutters alten Sonnenschirmen mich und die Pflanze, die wohlbehalten in einem Tontöpfchen steckte. Ich hatte zugesehen, wie Großpapa mit einem Bleistift ein Loch in die Erde gebohrt hatte, bevor er den zarten grünen Stängel behutsam ins neue Heim setzte. Anschließend gossen wir die Erde mit frischem Brunnenwasser. Ich fühlte mich sehr geehrt, dass mir diese Aufgabe zufiel.
    Zu meinem großen Schrecken schien mir die Pflanze im Laufe der Fahrt ein bisschen zu welken.
    »Großpapa, die Pflanze sieht etwas … müde aus.«
    Er warf einen kurzen Blick nach hinten, wirkte aber nicht beunruhigt. »Das ist nicht ungewöhnlich, du musst bedenken, dass sie erst vor kurzem aus dem Boden herausgeholt wurde. Gib ihr ein wenig Wasser aus der Trinkflasche. Haben wir nicht einen wundervollen Tag für unsere Fahrt erwischt?«
    Ich stimmte ihm zu und entspannte ein bisschen. Großpapa pfiff eine Weise von Mozart vor sich hin, und schließlich fing er an, laut zu singen, ein ziemlich wüstes Lied über einen betrunkenen Matrosen und darüber, was man wohl mit ihm machen solle. Damit die Zeit schneller verging, brachte er mir den Text bei.
    In Lockhart lenkte er den Gig vor ein Gebäude mit dem Schild Hofackets Fotografiesalon – Schöne Porträts für schöne Gelegenheiten . Wir gingen hinein, und Großpapa hatte große Mühe, Mr. Hofacket begreiflich zu machen, was wir wollten.
    »Sie möchten ein Foto von einer Pflanze?«, wiederholte er mehrfach. Er war vielleicht fähig, mit einer Kamera umzugehen, aber als es um unser Anliegen ging, war er ausgesprochen schwer von Begriff. Großpapa erklärte ihm noch einmal, was wir wünschten, und schließlich sagte Mr. Hofacket widerstrebend: »Aber ich muss Ihnen den üblichen Satz berechnen. Einen Dollar pro Porträt.«
    »Einverstanden«, sagte Großpapa ohne zu zögern. Mr. Hofacket machte ein bekümmertes Gesicht, so als könnte er sich selbst dafür treten, dass er kein besonders hohes Pflanzenhonorar verlangt hatte.
    »Gut«, sagte er, »dann folgen Sie mir bitte in mein Atelier. Du wartest hier draußen, Kleine!«
    »Nein«, widersprach Großpapa, »sie ist Teil dieser Expedition.« Mr. Hofacket sah ihn verständnislos an, doch dann führte er uns ohne ein weiteres Wort zwischen zwei Vorhängen hindurch.
    Im hinteren Raum standen diverse Stühle, Ottomanen und einige Tischchen aus Korbgeflecht. Mir kam alles irgendwie bekannt vor, was mich verwirrte, bis mir klar wurde, dass ich all diese Möbelstücke bereits auf Fotos von Familien aus allen möglichen Teilen des Landes gesehen hatte. Überall benutzte man also die gleichen Utensilien. Mr. Hofacket kramte in einer Schublade, bis er schließlich einen schlichten weißen Bogen Papier zutage förderte. Dann zog er eine zweite Schublade auf, holte ein leeres Album heraus, löste die Bindung und entnahm ein raues schwarzes Papier.
    »So?«, fragte er Großpapa. »Wünschen Sie sowohl einen schwarzen als auch einen weißen Hintergrund?«
    »Das wäre gut.«
    »Nun«, sagte Mr. Hofacket, den unser Vorhaben immer noch irritierte, »es ist Ihr Geld.«
    »Eben«, sagte Großpapa heiter, »und bald ist es Ihres.« So guter Stimmung hatte ich ihn noch nie erlebt, dabei hatte er an diesem Tag, so weit ich wusste, noch nicht einmal ein Glas Whiskey getrunken. Er zwinkerte mir zu, und ich versuchte zurückzuzwinkern, aber ich konnte es nur mit beiden Augen gleichzeitig, was bestimmt ziemlich blöd aussah. Noch eine wichtige Fertigkeit, an der ich arbeiten musste.
    Mr. Hofacket befestigte das weiße Blatt an der Wand, dann stellte er unsere Pflanze auf eine Holzschachtel davor. Dann rollte er seine große Balgenkamera davor und hantierte eine Weile daran herum.
    »Näher«, sagte Großpapa, »so nah wie es geht, doch die Einzelheiten müssen erkennbar sein. Vor allem das kleine gekrümmte Blatt, das da hängt, muss gut zu sehen sein.«
    »Das?«, fragte Mr. Hofacket erstaunt. »Davon wollen Sie ein Bild?«
    »Genau.«
    Mr. Hofacket zog die Stirn in Falten. »Wenn ich zu dicht herangehe, ist alles völlig verschwommen. Lassen Sie mich kurz nachdenken.« Er betrachtete die Pflanze aus verschiedenen Blickwinkeln. Schließlich sagte er: »Ich glaube, wir brauchen zusätzliches Licht aus dieser Richtung. Das ließe diesen Teil hier deutlich hervortreten, vor allem mit dem Blitz.« Er

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