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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Caldwell, einem Bezirk im Zentrum von Texas, ca. fünfundvierzig Meilen südlich der Hauptstadt Austin, wurde unsere Aufmerksamkeit von einer Pflanze geweckt, bei der es sich um eine neue Art einer Wicke handeln könnte. Es ist uns eine Ehre, Ihnen diese vorzustellen. Auf den ersten Blick scheint diese Pflanze ein Mitglied der gewöhnlichen Spezies Vicia villosa, auch unter der Bezeichnung Zottelwicke bekannt. Wie Sie jedoch der folgenden Beschreibung und den beigefügten Fotografien entnehmen können …
     
    Auf zwei vollen Seiten beschrieb Großpapa die Pflanze und ihr höchst wichtiges winziges Blatt. Schließlich, während ich ihm über die Schulter sah, unterschrieb er den Brief mit
     
    Hochachtungsvoll
    Walter Tate und Calpurnia Virginia Tate
     
    Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. »So weit wären wir also gekommen. Nun müssen wir sehen. Abwarten und sehen, was wird.«
    Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. Er holte tief Luft und sagte: »Ich hatte schon geglaubt, dieser Tag würde nie kommen, mein Mädchen. Ich hatte geglaubt, ich würde sterben, ohne dass es geschieht.«
    So weit waren wir gekommen: Eine neue Spezies. Eine Fotografie. Und ich – sein Mädchen.

 
     
     
    Dreizehntes Kapitel
     
    EINE
    WISSENSCHAFTLICHE
    KORRESPONDENZ
     
    Wenn eine Pflanzenrasse einmal wohl ausgebildet worden ist, so sucht sich der Samenzüchter nicht die besten Pflanzen aus, sondern entfernt nur diejenigen aus den Samenbeeten, welche am weitesten von ihrer eigentümlichen Form abweichen.
     
     
    Unsere Pflanze bekam ihren neuen Wohnsitz auf der südlichen Fensterbank im Laboratorium, und nachdem ich ihretwegen einige Ängste ausgestanden hatte, fasste sie wieder fest Fuß im Leben. Wir inspizierten sie täglich, achteten genauestens auf irgendwelche Anzeichen von Über- oder Unterwässerung, zu viel oder zu wenig Sonne, Spinnmilben, Zugluft, Chlorose oder generelle Schwäche. Jedes Mal, wenn ich einen Marienkäfer fand, rannte ich damit zu unserer Pflanze, damit er auf Ungeziefer achtete, doch meine winzigen, leuchtend roten Wachposten wollten nicht bleiben. Jeden Tag machten wir lange, ausführliche Eintragungen ins Tagebuch, ein nagelneues mit einem marmoriertem Einband, das für unsere Pflanze reserviert war. Vor lauter Angst, irgendjemand könnte sie in einem fehlgeleiteten Anfall von Ordnungswut wegwerfen, stellte ich ein kleines Warnschild unten am Blumentopf auf:
     
    LAUFENDES EXPERIMENT.
    PFLANZE ABSOLUT IN RUHE LASSEN.
    ICH MEINE DAS GANZ ERNST.
    Calpurnia Virginia Tate (Callie Vee)
     
    Zwölf Tage später erhielten wir zum ersten Mal Post im Zusammenhang mit unserer Pflanze. Und zwar von Mr. Hofacket. Er erkundigte sich, ob wir bereits Nachricht hätten vom Smithsonian. Er hatte Kopien der Fotografien in sein Schaufenster gestellt, neben die steife Braut und das nackte Baby auf dem Eisbärenfell, und mehrere neue Kunden hatten sein Geschäft betreten und sich nach den seltsamen Bildern eines unscheinbaren Krauts erkundigt.
    »Calpurnia«, sagte Großpapa, »du bist doch ein Teil dieses Unternehmens. Wärst du so lieb, an Mr. Hofacket zu schreiben und ihn daran zu erinnern, dass es noch viel zu früh ist für eine Nachricht? Ich habe ihm mehrfach gesagt, dass es sicherlich Monate dauern kann. Andererseits müssen wir jeden Laien in seiner Begeisterung bestärken, wann immer und wo immer wir sie finden.«
    Ah, eine Aufgabe! Eine wissenschaftliche Korrespondenz – mehr oder weniger jedenfalls – mit einem Erwachsenen. Ich schrieb einen Entwurf mit Bleistift, und als ich mit meinem Versuch zufrieden war, ging ich zu Großpapa, um ihn ihm zu zeigen. Ich klopfte an die Tür der Bibliothek, und er rief: »Herein, wenn’s sein muss.« Ich fand ihn vor seiner Echsenschublade, wo er irgendetwas über ein fehlendes Exemplar vor sich hin murmelte.
    »Calpurnia, hast du vielleicht meinen Fünfstreifen-Skink gesehen? Er müsste eigentlich hier eingeordnet sein, zwischen dem Vierstreifen- und dem Vielstreifen-Skink, aber ich scheine ihn verlegt zu haben.«
    »Ähm – nein, Großpapa, aber ich habe einen Antwortbrief an Mr. Hofacket geschrieben, und du müsstest mal drüberschauen.«
    »Mister wer?«, sagte er und kramte weiter.
    »Mr. Hofacket, den Fotografen. In Lockhart, du erinnerst dich doch.«
    »Ach ja.« Er winkte ab und sagte: »Ich bin sicher, du hast deine Sache gut gemacht. Schick den Brief ruhig los. Also, hier sind die Molche«, murmelte er, »und hier die Salamander. Wo sind denn die

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