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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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das kann ich dir sagen. Dabei war es gar nicht so extrem heiß. Und ich musste auch nicht Stunde um Stunde arbeiten, um mir mein täglich Brot zu verdienen. Und außerdem war ich kein alter, vom Rheuma geplagter Mensch, wie ich schon manche auf den Feldern gesehen hatte. All das ging mir durch den Kopf, als ich einen Schrei hörte wie von einer Eule. Er kam vom Haus. Ich fuhr zusammen wie vom Blitz getroffen.
    »Was machst du da?«, herrschte Viola mich von der Veranda aus an. Noch nie hatte ich sie so entsetzt gesehen.
    »Ich jäte Unkraut und dünne die Pflanzen aus. Oder was glaubst du, was ich hier mache?«
    »Allmächtiger, komm bloß rein! Aber sofort! Bevor dich noch jemand sieht. Jesus Maria.« Schon stand sie neben mir, riss mir die Hacke aus der Hand und zerrte mich zum Haus zurück. »Was ist bloß in dich gefahren?«, zischte sie. »Hast wohl völlig den Verstand verloren. Spielst hier den Neger.«
    »Ich wollte doch nur mal sehen, wie das ist, mehr nicht. Großpapa hat mir davon erzählt, wie …«
    »Ich will nichts über den alten Mann hören. Alter Mann verliert den Verstand, und jetzt du auch.« Den ganzen Weg bis zum Haus schimpfte sie vor sich hin und stieß mich vor sich her. »Kleines Mädchen jätet. Weißes Mädchen jätet. Tate- Mädchen jätet. Großer Gott.«
    So meckerte sie unablässig weiter, und dabei drehte sie sich ständig besorgt um, doch schließlich standen wir in unserer sicheren Küche. Als Erstes riss sie mir die Schürze ab. »Gib her«, sagte sie, »und zieh sofort eine frische an. Deine Mama kriegt einen Anfall, wenn sie dich so sieht. Und keinem was sagen von der Sache, hörst du?«
    »Warum nicht? Wieso bist du so böse? Ich wollte es doch bloß mal ausprobieren.«
    »Grundgütiger, steh mir bei.«
    »Jetzt sei doch nicht so böse auf mich, Viola.«
    »Ich muss mich kurz setzen.«
    »Komm«, sagte ich, »ich hol dir erst mal eine Limonade.«
    Sie saß am Küchentisch und fächelte sich mit einem Fächer aus festem Papier Luft zu, während ich in die Speisekammer ging. Als ich einen Steinkrug mit Apfelwein sah, zögerte ich kurz und beschloss, ihr lieber davon ein Glas einzuschenken. Sie sah aus, als könnte sie es brauchen.
    »Gleich geht’s dir besser«, sagte ich.
    Sie leerte das Glas auf einen Zug, dann starrte sie wieder ins Leere und fächelte sich weiter Luft zu. Ich füllte ihr Glas noch einmal, und sie seufzte. Irgendwie schienen viele Erwachsene um mich herum entweder zu trinken oder zu seufzen.
    »Callie«, sagte sie schließlich, »wenn dich jemand gesehen hätte!«
    »Was dann?«
    »Deine Mama hat Pläne für dich, weißt du das nicht? Hat erst letzte Woche gesagt, sie will dich in die Gesellschaft einführen. Und jetzt das! Nein, nein, nein. Eine Debütantin arbeitet im Baumwollfeld, mit der Hacke!«
    »Ich – Debütantin? Wozu das denn?«
    »Weil du Tochter von Familie Tate bist. Dein Papa hat Baumwolle. Dein Papa hat die Cotton Gin.«
    »Ich glaube, das gehört alles noch Großpapa.«
    »Weißt genau, was ich meine, Fräulein Neunmalklug«, sagte sie. »Willst du nicht Debütantin sein?«
    »Ich weiß ja nicht so genau, was man da machen muss, aber wenn Debütantinnen so dumme Puten sind wie die, die Harry damals mitgebracht hat – nein danke.«
    »Die war wirklich dumme Pute, stimmt. Aber so muss man nicht sein. Debütantin, das heißt viele feine Bälle, viele junge Herren kommen ins Haus. Jede Menge Verehrer.«
    »Und was soll ich mit so vielen Verehrern?«
    »Das sagst du jetzt. Aber wart nur ab.«
    »Nein, Viola, wirklich. Wozu soll das gut sein?«
    »Macht deiner Mutter Freude. Dafür ist es gut.«
    »Oje.«
    »Fräulein Selbstsucht«, sagte Viola.
    »Ich bin nicht selbstsüchtig«, widersprach ich.
    »Eine junge Dame sollst du werden! Und keine Vogelscheuche.«
    Diese letzte unfreundliche Bemerkung überhörte ich geflissentlich. Nachdem ich kurz nachgedacht hatte, fragte ich: »War Mutter auch Debütantin?«
    »Sie war angemeldet. Aber dann kam es anders.«
    »Wieso nicht?«
    Viola sah mich an. »Frag sie selber.«
    Ich war verwirrt. »Der Krieg?« Viola nickte.
    »Aber der war doch damals schon vorbei. Mutter muss …« Ich versuchte, an den Fingern abzuzählen, wie alt Mutter bei Kriegsende war.
    »Sie hatten kein Geld mehr, das ist alles«, erzählte Viola. »Und dann starb ihr Papa an Typhus, und damit war’s das dann.«
    »Und deswegen muss ich Debütantin werden? Weil sie es nicht werden konnte?«
    »Ich sag ja, musst sie selber fragen. Und

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