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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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übrigen Skinke?«
    Ich war völlig aus dem Häuschen und schon fast wieder aus der Bibliothek heraus, da fiel mir ein neues Problem ein.
    »Ich habe keine Briefmarke, Großpapa«, sagte ich.
    »Hm? Ach so, hier.« Er kramte in seiner Tasche nach einer Münze. Er gab mir ein Zehncentstück, und ich nahm es und sprang die Treppe hinauf in mein Zimmer. Ich holte meine Schachtel mit dem guten, schimmernden Briefpapier hervor, das für besondere Gelegenheiten bestimmt war, und legte es zusammen mit einer neuen Schreibfeder auf meine Frisierkommode. Dann setzte ich mich. Es war kein langer Brief, doch ich brauchte eine Stunde, bis die endgültige Fassung fertig war.
    Fentress, den 20. August 1899
    Werter Herr,
    Ihr Schreiben von Mittwoch dieser Woche liegt uns vor. Mein Großvater, Captain Walter Tate, hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass wir bisher keine Nachricht von der Smithsonian Institution erhalten haben. Mein Großvater, Captain Walter Tate, lässt Ihnen ferner mitteilen, dass Sie in Kenntnis gesetzt werden, sobald wir Nachricht haben. Mein Großvater lässt Ihnen seine besten Grüße übermitteln und ausrichten, dass er Ihr Interesse an dem Thema sehr zu schätzen weiß.
     
    Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich
    Ihre Calpurnia Virginia Tate
    (Captain Walter Tates Enkelin)
     
    Ich steckte den Brief in einen schönen dicken Umschlag, dann polterte ich die Treppe hinunter. Ich war fest entschlossen, meinen Brief noch heute zur Post zu bringen.
    Travis und Lamar spielten Cowboy und Indianer auf der vorderen Veranda und feuerten mit Spielzeugpistolen aufeinander. »He, Callie, wo willst du hin?«, riefen sie mir hinterher, doch ich beachtete sie nicht, sondern rannte los, so schnell ich konnte. Ich hatte keine Lust, Erklärungen abzugeben, und auch keine Lust, mein Geheimnis mit ihnen zu teilen. Sie hatten ihr eigenes Leben. Und jetzt habe ich meins, dachte ich innerlich jubilierend.
    In Rekordzeit war ich beim Postamt, staubbedeckt und nach Luft schnappend. Mr. Grassel, unser Postbeamter, stand hinter dem Tresen. Irgendetwas war seltsam an Mr. Grassel, ich war mir nur nicht sicher, was. Er machte immer ein großes Getue um die Familie Tate; wenn meine Eltern hereinkamen, katzbuckelte er. Er tat immer so, als möge er Kinder gern, und ganz besonders die der Tates, aber in Wirklichkeit stimmte das nicht, das spürte ich. Gerade plauderte er mit Lula Gates’ Mutter und überreichte ihr ein Paket, während ich höflich wartete.
    »Guten Tag, Callie«, sagte Mrs. Gates, als sie mich kurz darauf bemerkte. »Geht es deiner Familie gut? Ich hoffe, deine Mutter leidet nicht wieder unter Kopfweh.«
    »Hallo, Mrs. Gates«, antwortete ich. »Uns geht’s allen gut, danke schön. Und Ihnen?«
    »Uns geht es auch gut, Gott sei Dank.«
    Nach dem Austausch weiterer Höflichkeiten bat sie mich dringend, meiner Mutter Grüße auszurichten, dann ging sie. Ich trat an den Tresen und legte meinen Umschlag darauf, damit ich ihn Mr. Grassel nicht in die Hand geben musste. Seine fleischigen Handflächen waren stets verschwitzt, und ich ekelte mich davor.
    »So, Miss«, sagte er, nahm den Umschlag und inspizierte ihn. »Nach Lockhart hast du geschrieben, so so.«
    »Ich hätte gern eine Briefmarke«, sagte ich. Ich hatte meine liebe Mühe, nicht unhöflich zu klingen.
    Er kniff die Augen zusammen. Fand er mich etwa schon unverschämt?
    »Bitte, Mr. Grassel«, sagte ich mit genau abgewogener Verzögerung.
    Mr. Grassel las die Anschrift auf meinem Umschlag. »Willst dich wohl fotografieren lassen, im Appelier vom Hofacket, wie?« Er fragte seine Kunden oft danach, an wen sie schrieben und warum. Meine Mutter fand das den Gipfel der Ungezogenheit vonseiten eines Beamten, der aufgrund seiner besonderen Stellung jede Möglichkeit zu schnüffeln hatte. Ausnahmsweise einmal musste ich ihr recht geben.
    »Ja.« Pause. »Mr. Grassel.« Und da ich an diesem speziellen Tag so wagemutig war, fügte ich in meiner süßesten Kleinmädchenstimme hinzu: »Ich will mich fotografieren lassen, im Atelier von Mr. Hofacket.«
    Er kniff die Lippen zusammen. Ha! Ich schob mein Geldstück über den Tresen. Er nahm eine Briefmarke, feuchtete sie an einem kleinen Schwamm an, klebte sie mit theatralischer Geste auf und fragte: »Gibt’s einen besonderen Anlass?«
    »Nein, Mr. Grassel.«
    Er zählte betont langsam meine acht Cent Wechselgeld und hielt sie mir hin, sodass ich gezwungen war, die Hand aufzuhalten, um sie entgegenzunehmen.
    »Ganze

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