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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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jetzt geh und mach dich sauber. Schlimm siehst du aus. Ich muss erst mal ausruhen – mein Herz schlägt so schnell wie bei einem Kätzchen. Herr im Himmel, hilf.«
    Sie fächelte sich weiter Luft zu, und ich ging aus der Küche.
    Bei sieben Versuchen hatte meine Mutter nur eine einzige Tochter bekommen. Vermutlich war ich nicht das, was sie sich immer vorgestellt hatte, ein zartes Püppchen, das ihr helfen würde, sich der Flut der unbändigen Energie meiner Brüder entgegenzustemmen, die unser Haus jederzeit zu überschwemmen drohte. Es war mir bis dahin nicht in den Kopf gekommen, dass sie auf eine Verbündete gehofft, sie aber nie bekommen hatte. Es war nun mal so, dass ich keine Lust hatte, über Strickmuster und Rezepte zu plaudern und im Salon Tee einzugießen. War ich deshalb schon selbstsüchtig? Oder seltsam? Oder, was am schlimmsten wäre, machte mich das zu einer Enttäuschung ? Vermutlich könnte ich damit leben, für selbstsüchtig oder seltsam gehalten zu werden. Doch eine Enttäuschung – das wäre etwas anderes, Schlimmeres. Ich versuchte, den Gedanken wegzuschieben, doch er folgte mir den ganzen Nachmittag durchs Haus wie ein lästiger, übel riechender Hund, der Aufmerksamkeit verlangte.
    Ich setzte mich in mein Zimmer, schaute hinaus in die Bäume und dachte eine Weile über die Sache nach, betrachtete sie von verschiedenen Seiten. Ich hatte es mir ja nicht ausgesucht, so zu werden, wie ich bin. Konnte man mir mein Wesen zum Vorwurf machen? Konnte eine Leopardin etwas gegen ihre Flecken tun? Und falls ja – was waren meine Flecken? Antworten fand ich keine, das Einzige, was ich am Ende hatte, waren Kopfschmerzen. Vielleicht brauchte ich ein Schlückchen von Lydia Pinkhams Kräuteressenz, so wie Mutter. Vielleicht war ich ihr ja ähnlicher, als ich dachte.
    Ob es wirklich so furchtbar wäre, Debütantin zu sein? Vielleicht würde es mir ja gar nicht so viel ausmachen. Bis es so weit sein würde, musste ich mehr darüber in Erfahrung bringen.
    Großpapa hatte mir beigebracht, dass man die wichtigen Fragen nur mithilfe der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse beantworten kann, die zur Verfügung stehen. Außerdem braucht man reichlich Zeit, um die Alternativen zu ermessen und abzuwägen. Zum Glück blieben mir ja noch sechs, sieben Jahre, bis es soweit war, das dürfte reichen. Allerdings kannte ich außer Mutter niemanden, den ich nach solchen Dingen fragen konnte, und würde das nicht Hoffnungen in ihr wecken, Hoffnungen, die ich später womöglich zunichte machen würde?
    Der Kopf tat mir weh, und an meinem Hals begann es zu jucken.
    Schon wieder ein Ausschlag.
     
    Am nächsten Morgen fand ich Mutter im Küchengarten, wo sie die Reihen der Beete abschritt. Ein breitkrempiger Strohhut schützte ihr Gesicht, ein Paar weiße Handschuhe ihre Hände, entsprechend ihrem eigenen Grundsatz, nach dem eine Dame Gesicht und Hände stets vor der Sonne zu schützen habe. Ich näherte mich ihr vorsichtig, da ich nicht sicher war, ob Viola ihr vielleicht doch von meinem offenbar schändlichen Experiment berichtet hatte, doch sie blickte nicht sonderlich besorgt drein. Jedenfalls nicht besorgter als sonst.
    »Wo ist deine Haube?«, rief sie mir entgegen. »Geh schnell ins Haus und hol sie.«
    Ich rannte zurück. Es wäre sinnlos, mit ihr reden zu wollen, wenn ich sie gleich auf dem falschen Fuß erwischte. Also riss ich meine Haube vom Haken an der Innenseite der Küchentür und lief gleich wieder hinaus.
    »So ist es besser«, sagte Mutter. »Wolltest du mir mit den Blumen helfen?«
    »Eigentlich wollte ich dich etwas fragen«, begann ich. »Viola hat mir erzählt … Viola hat mir erzählt, dass du Debütantin werden solltest, dass es dann aber nicht dazu kam. Stimmt das?«
    Ein Schatten flog über ihr Gesicht, der alles Mögliche bedeuten konnte – Überraschung, Ärger, Bedauern. Sie bückte sich und schnitt eine Cherokee-Rose ab. »Ja, das stimmt.«
    »Was war denn passiert?«
    »Der Krieg hat uns ruiniert. Wie so viele andere Familien auch. Viele Menschen hungerten. In so einer Zeit wäre ein Debütantinnenball einfach … unpassend gewesen.«
    »Aber dann hast du trotzdem Vater kennengelernt.«
    Sie lächelte. »Ja, ich war eine von denen, die Glück hatten, anders als deine Tante Aggie.«
    Mutters Schwester Agatha lebte allein und unverheiratet in Harwood, in einem Haus, das nach Katzen und Schimmel roch.
    »Das heißt, es war gar nicht nötig, dass du in die Gesellschaft eingeführt wurdest.« Ich

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