Cambion Chronicles 1
»Ich muss weg.«
»Was ist hier los? Du machst mir Angst.«
»Kluges Mädchen«, witzelte Haden.
»Klappe, Haden!«, bellte Caleb.
Sein Bruder warf die Hände in die Luft und schlenderte den Weg hinauf zu Calebs Haustür.
Sobald wir allein waren, drehte sich Caleb zu mir um. »Er gehört zur Familie, so gern ich ihn auch beim Ausparken mit dem Auto überfahren würde. Er wäre nicht hier, wenn er nicht meine Hilfe bei etwas bräuchte. Ich muss ihn wenigstens anhören.« Caleb sah nicht sehr begeistert aus. Unter seiner teilnahmslosen Fassade schimmerten Sorge und Unsicherheit durch.
Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf seine Haustür. »Haden hat euren Vater erwähnt. Ist er wegen ihm hier?«
»Keine Ahnung. Vielleicht.« Er zuckte mit den Achseln. »Aber ich werde mich nicht wieder in dieses ganze Chaos reinziehen lassen.«
»Geht es deinem Dad gut? Ist er verletzt?«
»Ja, schwer verletzt. Unheilbar. Es ist nicht gut für ihn, unter Menschen zu sein.«
»Na ja, er trauert noch.«
»Das ist es nicht.« Caleb warf einen Blick über die Schulter, bevor er sagte: »Sein Geist ist ruhelos. Ihm fehlt die Energie, die er bekam, als Mom noch in seiner Nähe war. Er spürt den Verlust auch körperlich.«
Ich nickte. »Ähm, das klingt jetzt echt fies, und bitte versteh mich nicht falsch, aber hat dein Dad deiner Mutter was getan?«
Ein Ruck fuhr durch seinen Körper. »Was?«
»Ich habe mich nur gefragt, ob er … «
Caleb wich zurück. Auf seinem Gesicht lag eine Mischung aus Schock und enttäuschtem Vertrauen.
»Du glaubst, mein Dad hätte meine Mom getötet?«
»Nein. Ich meine, ich weiß nicht. Hör zu, Caleb, ich versuche mir das doch nur alles zusammenzureimen.«
»Mein Dad hat meine Mom geliebt, klar? Unfassbar, dass du so was sagen kannst!«
Ich warf ihm einen vorsichtigen Blick zu und schüttelte den Kopf. »So habe ich das nicht gemeint.«
»Meine Mom ist an Krebs gestorben. Sie brauchte niemanden, der nachhilft.« Das abgefahrene Leuchten glomm wieder in seinen Augen auf, und ich wusste, dass ich vorsichtig sein musste.
»Gut, wenn du das sagst, dann glaube ich dir. Ich will dich nicht beleidigen, und ich will auch nicht immer auf der Hut sein in deiner Gegenwart.« Ich drehte mich um und öffnete die Autotür, aber eine starke Hand schlug sie wieder zu.
»Warte. So ist das nicht, Sam.« Sein Atem traf mein Ohr und strömte leicht und warm an meinem Hals hinunter. »Du hast nur einen wunden Punkt erwischt, das ist alles. Moms Tod hat meine Familie hart getroffen und, na ja, du hast nur einen Verdacht ausgesprochen, den ich selbst hatte.«
»Wirklich?« Ich lehnte mich an ihn und genoss das Gefühl seines Körpers an meinem. Alle Sinne waren wie ausgeschaltet, außer dem Fühlen. »Gehst du ihm deswegen aus dem Weg?«
Er grübelte über die Antwort nach, bevor er sagte: »Wir können mit Verlust nicht gut umgehen. Es ist kompliziert, Sam, und ich möchte das unbedingt von dir fernhalten. Scheiße, ich will das von mir fernhalten.«
»Na gut, aber mach nichts Unvernünftiges, ja?«
»Zu spät.« Er strich mit der Hand über meine Wange, die Augen halb geschlossen, die winzige Bewegung voll auskostend. »Mein Bruder hat nicht ganz unrecht, weißt du.«
»Womit? Dass alle Frauen in deinem Leben sterben?«
»Nein. Wir verschlingen alles auf unserem Weg, aber was er nicht gesagt hat: Wir lassen uns ebenso leicht selbst verschlingen.« Sein Blick ruhte auf meinen Lippen und blieb länger dort, als er sollte. Ein violetter Schimmer erblühte vor meinen Augen, ein magischer Strahl, nicht von Wut erzeugt, sondern von etwas namenlos Urtümlichem.
»Caleb!« Hadens Stimme peitschte wie ein Schuss durch die Luft. Sie warnte uns mit diesem wohlbekannten elterlichen Tonfall – perfektes Timing.
Caleb wich zurück, während sein Blick mich unter halb geschlossenen Lidern wie eine Beute ins Visier nahm.
»Gute Nacht, Sam.« Das war kein Abschiedsgruß, sondern eine Warnung, die nicht wiederholt werden musste.
Wortlos kletterte ich in mein Auto und fuhr los, ebenso wie er darum bemüht, mich wieder unter Kontrolle zu bringen.
In dieser Nacht starrte ich an die Decke und schnippte immer wieder den verdammten Vierteldollar in die Luft. Mir war egal, was Caleb sagte – Capones Anziehungskraft wirkte sehr wohl auf mich. Das war die einzig vernünftige Entschuldigung dafür, um drei Uhr morgens noch wach zu sein.
Er schien vor meinen Augen Gestalt anzunehmen wie etwas, das sich endlich enthüllt
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