Cambion Chronicles 1
die Menge der Passanten schlängelte. Das Verlangen, ihn einfach zu berühren, schien mir plötzlich das Allerwichtigste. Er stand nur noch wenige Meter entfernt, aber ich kam nicht nahe genug an ihn heran. Bevor ich ihn erreichte, war er fort, spurlos verschwunden.
Vielleicht war er in den Laden gegangen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Aber warum sollte er mich erst so anstarren und dann vor mir weglaufen? Es ärgerte mich zwar, dass er mich so plötzlich versetzt hatte, aber ich dachte nicht weiter darüber nach.
Zumindest bis ich Caleb zehn Sekunden später in der Musikabteilung beim Kassieren sah. Dem Einkauf zufolge, den er in die Tüte schob, handelte es sich um eine größere Sache. Ich blickte vom Haupteingang zur Musikabteilung und wieder zurück. Es war schlicht unmöglich, dass er so schnell an mir vorbei in seinen Teil des Ladens gekommen war. Ich war sicher, dass der Mann, der mich beobachtet hatte, echt gewesen war, genau wie das unerschütterliche Bedürfnis, zu ihm zu gehen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr verblasste das Gefühl in meiner Erinnerung.
Ich rieb mir die Schläfen und betete, dass meine Schicht bald vorbei sein möge und ich ein bisschen wohlverdienten Schlaf bekäme. Bestimmt hatte ich mir das nur eingebildet, aber wenn ich bedachte, um wen es ging, überraschte mich eigentlich nichts mehr.
19
N adine erklärte sich bereit, Caleb etwas praktische Erfahrung zu verschaffen, also besuchten wir zu dritt einen Club in Norfolk.
Da davor nur eine Woche Zeit blieb, musste ich Robbie Ford meinen Erstgeborenen versprechen, damit er mir einen falschen Ausweis bastelte. Als ich das Ergebnis sah, wusste ich aber, dass es das wert gewesen war. Diese kleine Zeitmaschine aus Plastik katapultierte mich fünf Jahre in die Zukunft. Zweiundzwanzig war ein gutes Alter – nicht zu alt, aber alt genug, um einer Kontrolle standzuhalten.
Der Club war eine überteuerte Fleischbeschau mit einem einfallslosen DJ . Die üblichen Verdächtigen waren alle anwesend: die Mädchen mit Bräune aus der Flasche, die für Aufmerksamkeit und Freigetränke alles taten, die Möchtegern-Stecher, die aber nur mit anderen Kerlen in der Ecke rumsaßen, das Mädchen, das viel zu laut lachte, der alte Typ, der schwor, dass er noch landen konnte, und der schleimige Typ an der Bar mit dem offenen Hemd, der Goldkette und dem Brusthaartoupet.
Nadine steuerte durch das Meer von Pfiffen und lasziven Tanzbewegungen, besetzte einen Tisch für uns und kam sofort zum Geschäftlichen. »Okay, Caleb, wir beginnen mit der einfachen Anziehung. Du bestimmst, wie viel du einsetzt.«
Ich saß Nadine und Caleb gegenüber. »Ich dachte, das käme von ganz allein.«
»Teilweise. Es ist gerade so viel, dass man sich nach ihm umdreht, aber nicht genug, um jemanden in einen hirnlosen Zombie zu verwandeln. Das kommt später.« Nadine suchte mit den Augen die Bar nach einer Willigen ab.
Die Auswahl war riesig. Ich konnte es kaum fassen, wie verzweifelt manche Frauen waren. Die kamen anscheinend direkt aus der Dusche in den Club. Vergiss die Klamotten, die halten doch bloß auf. In meinem Schlauchkleid und den Sandalen sah ich dagegen aus wie eine Nonne.
»Da! Siehst du die Brünette? Ruf sie her«, befahl Nadine. Als Caleb aufstehen wollte, drückte Nadine ihn wieder auf seinen Sitz. »Nein, von hier aus. Sieh sie an und zwinge sie, herzukommen.«
»Kannst du das wirklich?«, fragte ich.
»Ja. Und das Coole ist, du kannst das auch.« Nadine warf mir diese Info mit verschlagenem Blick hin.
»Echt?«
»Ja, wenn du jemanden lange genug ansiehst, bekommst du eine Antwort. Unterschätze nie den Augenkontakt. Er ist das Wichtigste an unserer Macht.«
»Ist das so was wie Gedankenkontrolle?«
»Irgendwie schon. Wir täuschen unsere Beute. Wir brauchen keine Schönheit. Mit einem Blick werden wir zu dem, was sie am meisten begehren. Caleb ist alles, was sie jemals wollte, und sie muss ihn haben. Ihr Körper reagiert und wird zum Sklaven.«
Das war das Abgefahrenste, was ich in meinem ganzen Leben gehört hatte. Nichts hatte mich je mehr angemacht. Ich konnte nur vermuten, wie es war, mit einem Blick versklavt zu werden.
»So, Caleb, jetzt lass deinen Blick auf ihr ruhen. Wenn sie hersieht, zieh sie ran«, erklärte Nadine und lenkte damit meine Aufmerksamkeit wieder auf unsere Mission.
Caleb tat wie geheißen. Sein Blick war so intensiv, dass ich selbst von der Seite hineingezogen wurde. Ich konzentrierte mich wieder auf die
Weitere Kostenlose Bücher