Cambion Chronicles - Golden wie das Morgenlicht (German Edition)
noch zu bestärken, und winkte unserer Nachbarin zu wie ein normaler Mensch. »Hi, Mrs Cunningham!«
Die schlanke Brünette mit ihren flauschigen Ohrwärmern und dem hautengen Schneeanzug, in dem sie aussah wie ein Skihäschen, hielt auf ihrem Weg zum Wagen inne. Sie war das, was Mom häufig als Trophäenweibchen bezeichnete, weil sie zwanzig Jahre jünger war als Mr Cunningham und häufiger unter dem Messer gelegen hatte als ein Truthahn zu Thanksgiving.
»Hallo, Samara. Ihr scheint Probleme mit dem Strom zu haben. Kommt ihr zurecht?«, fragte sie.
»Ja, nur eine rausgesprungene Sicherung. Muss gleich mal zum Sicherungskasten.«
Sie betrat den Rasen und kam ein paar Schritte näher. »Julie? Julie, bist du das?«
Mom fluchte leise und kam aus ihrem Versteck. »Debra, hi! Wie geht’s?«, rief sie gespielt fröhlich.
»Oh, mir geht es prima, danke. Wie ich sehe, habt ihr auch ein neues Motto. Minimalismus, verstehe. Sehr hübsch, und so praktisch, wenn man auf den Geldbeutel achten muss«, sagte Mrs Cunningham mit einem so breiten Lächeln, dass es bis auf die andere Straßenseite zu sehen war.
»Ja, aber weniger ist mehr, weißt du.« Mom warf den Kopf in den Nacken und lachte sehr laut und sehr künstlich. Sie winkte der Nachbarin lächelnd zu und stieß dabei durch die Zähne: »Ich hasse dich.«
»Ähm … also, ich geh mal das Licht wieder anmachen.« Ich überließ Mom ihrer Besessenheit und ging in die Küche. Als ich die Sicherung wieder einschaltete, erwachte das Haus mit lauter Radiomusik, blinkenden Digitaluhranzeigen und dem leisen Brummen der elektrischen Geräte wieder zum Leben.
Nachdem das erledigt war, ging ich wieder nach oben und duschte, wobei Caleb sich weiterhin in meine Gedanken drängte. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass er von einer Frau getrunken hatte, während ich im selben Zimmer war. Oder vielmehr, ich konnte es nicht fassen, dass ich dabeigeblieben war und zugeschaut hatte. Sie waren ja nicht nackt gewesen oder so, aber die ganze Geschichte war so pervers, als sei es so gewesen.
Vielleicht interpretierte ich da mehr rein, als ich sollte. Einem Menschen die Lebenskraft auszusaugen, musste ja nichts Persönliches sein. Caleb schien keinerlei Schwierigkeiten damit zu haben, seine Gefühle ein- und auszuschalten, was also war mein Problem? Es war doch nur Nahrung, oder?
Ich trocknete mich ab und ging mit einem frisch gefassten Entschluss in mein Zimmer zurück: ein bisschen lockerer zu werden und mich nicht dauernd über Kleinigkeiten aufzuregen. Ich hatte es satt, die ganze Zeit auf der Hut zu sein und mir Sorgen zu machen, und das Motto der Cambions lautete schließlich, das Leben zu feiern, solange wir das konnten.
Während ich in der Schublade nach einer Schlafanzughose wühlte, ging das Licht wieder aus.
»Mom!«, schrie ich.
Als ich keine Antwort bekam, drehte ich mich um und bemerkte, dass das Flurlicht unter meiner Tür hindurchsickerte. Ich sah zum Nachttisch hinüber, wo die roten Leuchtziffern meines Weckers im Dunkeln blinkten. Ich öffnete die Tür und steckte den Kopf hinaus. Alle Lichter im Haus brannten, außer denen in meinem Zimmer.
Verwirrt trat ich zurück in mein Zimmer und schloss die Tür.
Der Schrei, der darauf folgte, war nicht weit zu hören. Mom kämpfte wahrscheinlich immer noch draußen mit der Lichterkette und den Nachbarn. Aus dem Radio in der Küche plärrten alte Weihnachtslieder, die bestimmt jeden Lärm übertönten, den ich machte. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass der erstickte Laut eher etwas mit der lederbehandschuhten Hand zu tun hatte, die auf meinem Mund lag.
Ein kräftiger Körper drückte sich gegen meinen Rücken – am Rasierwasserduft mit Holzaroma und den Bartstoppeln, die mir über die Wange kratzten, erkannte ich, dass es ein Mann war. Sein heißer Atem strich über mein Ohr, als er flüsterte: »Keine Angst!«
Dafür ist es verdammt noch mal zu spät, Kumpel! , dachte ich und versuchte, mich loszureißen. Ich stieß ihn kräftig mit dem Ellbogen in den Magen und trat ihn mit der Ferse ans Schienbein.
»Samara! Hör auf! Ich bin’s!«
Ich trat um mich und wand mich in seinem Griff. Meine Zähne versenkten sich in seinen Handschuh, bis sie seine Hand zu fassen bekamen, dann biss ich kräftig zu. Er jaulte und zog die Hand weg, und ich nutzte meine Chance zur Flucht. Ich verteilte wahllos Fauststöße im Dunkeln in der Hoffnung, ihn zu treffen.
»Mom! Hol die Knarre!«, schrie ich und streckte meinen Arm
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