Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
Geschmack. »Komm, Schlafmütze. Wir sind da.«
Ich hob den Kopf und sah Tobias, der mich in seiner wahren Gestalt vom Fahrersitz aus anlächelte. Sein Haar fiel wie ein weicher, welliger Vorhang um sein Gesicht und lockte mich, es anzufassen.
Ich kämpfte den Drang nieder und fragte: »Was ist hier los?«
»Wir gehen essen.«
»Nein, nein, nein. Wie bin ich aus der Schule rausgekommen? Wieso bin ich umgezogen? Hast du mich unter Drogen gesetzt?«
Er sah so ruhig und distanziert aus wie ein Doktor, der einem Patienten gerade seine Diagnose mitteilt. »Du hast eine hyperaktive Fantasie. Du verlierst dich oft in Tagträumen und lässt deine Gedanken dabei so weit abschweifen, dass du jedes Zeitgefühl verlierst. Das ist irgendwie süß, aber du solltest das nicht tun, wenn du hungrig bist. Du bist schwach, und Lilith kann schnell die Kontrolle übernehmen, wenn sie das Verlangen danach verspürt. Darum sind wir hier.«
Die Kontrolle übernehmen? Als wäre ich besessen? Klar, sie war ein Geist, aber tatsächlich besessen zu sein, unbewusst Dinge zu tun, das machte mir eine Scheißangst. Ich hatte schon mal so eine außerkörperliche Erfahrung gemacht, aber da war ich wach gewesen, mein Bewusstsein hatte in gewissem Umfang noch gearbeitet. Das hier war ein totaler Filmriss gewesen, und nach der Uhr am Armaturenbrett zu schließen fehlten mir jetzt fünfzehn Minuten meines Lebens. Gar nicht auszudenken, was alles hätte passieren können.
Als könnte er meine Gedanken hören, bestätigte Tobias: »Es ist nichts passiert. Obwohl ich zugeben muss, dass du bewusstlos weitaus netter bist.«
Was war das jetzt wieder? Der Lobgesang des Vergewaltigers? Ich rutschte schnell näher zur Tür.
»Ich will dir mal was über Dämonen erzählen. Inkuben besitzen die Macht, zu beeinflussen und zu verführen. Wir bringen schwache Menschen zu der bewussten Entscheidung, sich uns zu unterwerfen, aber wir können das nicht mit Gewalt erzwingen, vor allem nicht, wenn sie rein sind. Denk doch mal nach. Wenn wir uns in einer dunklen Gasse auf eine Frau stürzen müssten, wozu hätten wir dann unsere Anziehungskraft oder unser gutes Aussehen? Niemand, nicht mal unsere Opfer können behaupten, wir hätten sie zu irgendwas gezwungen. Ziemlich poetisch auf eine gewisse Art und Weise – verbotene Früchte und so. Dass der Mensch zwischen Gut und Böse wählen kann, macht ihn überhaupt erst zum Menschen. Wir lassen die Waage einfach nur zu unseren Gunsten ausschlagen.«
Ich seufzte erleichtert, aber das Gefühl war nur von kurzer Dauer. »Gilt das auch für Cambions?«
»Cambions sind überwiegend menschlich, also ja. Lilith mag sich für mich entschieden haben, aber das letzte Urteil fällt sie nicht. Es ist dein Körper, dein freier Wille. Deine Reinheit macht dich etwas widerstandsfähiger gegen meinen Einfluss, aber Lilith hat keine so blitzsaubere Vergangenheit wie du. Da liegt der Hund begraben. Solange du rein bist, kann nicht mal Lilith sich darüber hinwegsetzen. Versuchen wird sie es allerdings trotzdem.« Er lächelte.
Ich nickte und ordnete die neuen Informationen in meinem Kopf. Am Anfang hatte es mich aufgeregt, dass Cambions Jungfrauen zehn Meilen gegen den Wind riechen konnten, aber meine Unberührtheit hatte mir in der Vergangenheit einigen Ärger erspart und schützte mich auch jetzt wieder. Als Cambion wusste ich inzwischen, wie man eine Jungfrau erkannte, an diesem hellen Ring um den Körper. Auren von Menschen mit mehr Erfahrung wirkten im Vergleich dazu trüber.
»Komm, gehen wir essen.« Er kletterte aus dem Wagen und kam auf meine Seite herüber, um mir die Tür aufzumachen.
Ich sah den ungepflasterten Weg hinunter, der zur Straße führte, und dann wieder zu ihm. »Ich … ich kann nicht.«
»Klar kannst du. In der Menge zu trinken, ist ungefährlicher als direkt. Du brauchst das, also komm.« Er packte mich am Handgelenk und zog mich wie ein Kleinkind aus dem Wagen. Und genau wie ein Kleinkind trat ich um mich und wand mich, als er mich zu einer Bank vor einem Andenkenladen trug.
Er setzte mich ab, beugte sich zu mir herunter und hielt mir seinen ausgestreckten Zeigefinger vor das Gesicht. »Bleib sitzen und trink.«
Wohl wissend, dass ich ihm nicht davonlaufen konnte, setzte er sich neben mich und beobachtete den Platz. Mein Fluchtplan fiel in sich zusammen, sobald ich die Parade von Touristen und Einheimischen sah. Der schlimmste Touristenansturm war vorüber, aber der Parkplatz stand immer noch voll mit
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