Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
streckte die Hand aus. »Freut mich.«
Der Kleine hatte einen Mörderhändedruck für sein Alter. »Hi. Bist du Maliks neue Freundin?«
»Äh, nein. Wir sind nur so Freunde«, antwortete ich und ignorierte Tobias’ wissendes Grinsen.
Marcus runzelte die Stirn, und ich konnte fast sehen, wie sein kleines Gehirn auf Hochtouren lief. »Oh, ach so. Aber du bist ein Mädchen.«
»Ist dir also aufgefallen, hm?«
Sein Blick wanderte zwischen seinem Bruder und mir hin und her. »Aber Malik hat keine Mädchen als Freunde.«
Bevor ich mir eine Erklärung einfallen lassen konnte, kam mir Tobias zu Hilfe: »Es gibt für alles ein erstes Mal. Das wirst du schon noch rausfinden, wenn du älter bist. So, jetzt aber zurück zur Klasse. Du sollst ja meinetwegen keinen Ärger bekommen.« Tobias und der kleine Kerl vollführten ein kompliziertes Handschlagritual, das Marcus und Malik wahrscheinlich tausendmal geübt hatten.
»Also, tschüss dann!« Mit einem schiefen Grinsen flitzte Marcus zu seiner Klasse zurück.
Ich unterdrückte ein belustigtes Grinsen und drehte mich zu Tobias um. »Er ist hinreißend.«
»Er ist anstrengend«, korrigierte Tobias. »Er kann keine Minute still sitzen, rennt dauernd rum, gibt freche Antworten, verteilt Dreck auf dem Boden, bringt komische Tiere mit nach Hause und weigert sich, seine Unterhosen in den Wäschekorb zu räumen. Ich sag dir, Kinder sind deshalb so süß, damit man sie nicht umbringt.« Er holte tief Luft, um sich wieder abzuregen, und lächelte dann. »Aber er ist ein helles Köpfchen, richtig clever. Klassenbester.«
Ich verstand ihn total. Meine Geschwister waren die Inkarnation des Bösen, aber ich liebte sie trotzdem. Vielleicht war es der brüderliche Stolz, der aus seinen Augen strahlte, oder die Wärme und die Freude, die sein Körper verströmte, jedenfalls wusste ich, dass er jedes Wort ernst meinte. Meine Frage war nur: warum? Warum dieser Junge, warum diese Familie? Er hatte gesagt, seinesgleichen könnte nichts fühlen, aber galt das auch für Mitgefühl? Das bisherige Leben des echten Malik gehörte nun Tobias, und Malik lebte indirekt durch ihn weiter. Erinnerungen waren schon komisch.
»Wie kannst du nur Persönlichkeiten so einfach ein- und ausschalten?«, fragte ich.
»Genauso, wie du das machst.« Er sah mich an und schalt: »Ach, komm schon, jetzt erzähl mir nicht, dass du dich vor dem weißen Teil deiner Familie ganz genauso benimmst wie vor dem schwarzen, dass du genauso sprichst und genauso auftrittst.«
Schon wieder. Der Typ kannte mich viel zu gut, und niemand lässt sich so was gern auf den Kopf zusagen. Ich setzte zu einer Erklärung an, aber er schnitt mir das Wort ab.
»Glaubst du, Douglas zieht seine Gangstanummer vor seinen Eltern ab oder vor ihren Freunden im Country-Club? Trotzdem gehört das zu ihm. Wir alle haben viele Outfits im Schrank und ziehen an, was der Situation gerade angemessen ist.«
Tobias hatte seine Hausaufgaben wirklich gemacht. Es beunruhigte mich, wie viel er über mich und meine Freunde wusste. Es musste doch Jahre dauern, so viel intimes Wissen anzuhäufen.
»Dieses Versteckspiel kann nicht ewig dauern«, argumentierte ich. »Und du zerstörst eine ganze Familie mit diesem Betrug.«
Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und ging zum Wagen vor. »Ich tue alles, um das zu vermeiden, Blümchen. Glaub mir. Das ist eine sehr glückliche Familie, und ihre Lebensfreude ist einfach zu gut, um sie aufzugeben.«
»Ich habe auch einen Namen, weißt du. Warum nennst du mich dauernd ›Blümchen‹?«
»Weil ich dich pflücken will.« Er hob anzüglich die Augenbrauen.
Das war mir nicht mal eine Antwort wert, also ging ich an ihm vorbei zum Pick-up. Ich öffnete gerade die Beifahrertür, als eine Hand sie wieder zuschlug.
Er beugte sich zu mir herunter und sagte: »Sag mir, wie fühlst du dich, wenn du mit mir zusammen bist?«
»Schizophren.«
»Ich meine es ernst.«
»Ich auch. Ich lebe in einem geteilten Land. Lilith begehrt dich mit einer Leidenschaft, die man nur psychotisch nennen kann. Ich kann mich nicht so mit dir einlassen. So ungern ich das zugebe, ich gehöre zu jemand anderem.«
Wenn meine Antwort ihn verletzte, zeigte er es nicht. »Klingt wie eine Verpflichtung.«
»Nicht mehr, als es für dich und Nadine eine war. Hast du dich unterdrückt, belastet oder versklavt gefühlt? Nein, weil du nach deinem freien Willen gehandelt hast. Es hat was mit Freiheit zu tun, wenn jemand dich so gut kennt und
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