Cambion Chronicles - Smaragdgrün wie die Dämmerung (German Edition)
Band ihres Tagebuchs herum.
»Wie lange ist er schon in der Stadt?«
Ich gab ihr eine Zusammenfassung des letzten Monats und ließ dabei nichts aus. Sie blieb so still, dass ich schon dachte, sie sei entweder in Ohnmacht gefallen oder schon zum Flughafen gerast. Ihre stoßweise Atmung verriet mir aber, dass sie noch dran war. Ihre Stimme war vor Ehrfurcht und Angst – so vermutete ich zumindest – ganz rau.
»Wie lange hast du diese Trancezustände schon? Dauern sie lange? Vielleicht solltest du deswegen mal zum Arzt gehen. Nicht alle Tagträume sind harmlos, das kann auch ein Symptom für etwas sein, das man Petit-mal-Anfälle nennt.«
»Anfälle? Wie bei Epilepsie?«
»Nicht so schlimm, aber sie können schlimm werden, wenn man sie nicht behandelt.«
»Tobias hat gesagt, solange ich trinke, wird Lilith nicht versuchen, die Kontrolle ganz zu übernehmen.«
»Das denke ich auch. Unsere Geister wenden sich nur gegen uns, wenn wir nicht trinken. Oder …« Sie verstummte.
»Oder was?«
»Oder wenn sie das Verlangen spüren, sich zu paaren.«
Ich schluckte schwer. »Also löst Tobias’ Anwesenheit das aus?«
»Daran habe ich keinen Zweifel, aber ich glaube, es hat schon lange vor Tobias angefangen. Bist du in Calebs Gegenwart mal weggetreten?«
Ich zuckte zusammen. »Manchmal.«
»Samara, das ist eine gefährliche Zeit im Leben eines Cambions. Für dich ist das alles neu, und du bist nicht vorbereitet auf die Veränderungen, die in deinem Körper vorgehen.«
Ich zog angeekelt die Oberlippe hoch. »Äh, Angie, dieses Gespräch hatte ich mit Mom schon, als ich fünf war, und ich habe immer noch Albträume davon, also …«
»Ich meine nicht nur die Pubertät, sondern die Veränderungen in Bezug auf deinen Geist«, unterbrach sie mich. »Die Jugend ist eine sehr heikle Zeit im Leben eines Menschen. Deine Gedankengänge und Hormone sind sprunghaft, und du bist anfälliger für alles, vor allem für den Einfluss eines Dämons. Das ist der ideale Zeitpunkt für deinen Geist, um die Kontrolle zu übernehmen. Nadine hatte diese Veränderungen schon hinter sich, aber du bist für Lilith ein neuer Körper und musst diese Phase erst noch durchstehen. Lilith ist paarungswillig, sie braucht Energie und will sich an einen anderen Dämon binden. Ganz einfach.«
»Ich verstehe das nicht. Warum benimmt sie sich jetzt so? Ich dachte, sie liebt Capone.«
»Willkommen im Tierreich, Kleines. Deshalb halten sich männliche und weibliche Cambions auch voneinander fern – die Anziehung ist in deinem Alter am stärksten. Lilith will einen Partner, und wer stark genug ist, um sie für sich zu beanspruchen, der bekommt sie. Sie kam zu Capone, weil es nur ihn gab, aber jetzt hat er einen Konkurrenten. Das Verlangen wird dich verrückt machen, aber du musst sie besänftigen, also schlage ich vor, du nimmst mehr Energie auf, bis es vorbei ist, aber nicht zu viel. Außer natürlich, du möchtest den Bund mit Caleb eingehen.« Die Aussage hing in der Luft.
»Äh, na ja, ich …« War das peinlich. Ich wollte nicht mit Angie darüber reden. Diese unsichtbare Mauer zwischen Eltern und Kindern gab es nicht ohne Grund.
»Ich wusste nicht, dass Nadine einen Partner hatte. Sie hat es niemandem erzählt. Aber sie hat in ihrem späteren Leben vieles geheim gehalten«, eröffnete mir Angie.
»Wusstest du, dass sie versucht hat, sich umzubringen?«
Die Grabesstille in der Leitung tat mir in den Ohren weh.
»Ja, das wusste ich.« Angie räusperte sich. »Das war eine düstere Zeit in ihrem Leben, die sie nicht zu wiederholen wagte. Weißt du, warum ihr das Armband so wichtig war, warum sie es nie abnahm?«
Ich sah hinunter auf das besagte Schmuckstück an meinem Handgelenk. »Zu ihrem Schutz? Falls sie mal entführt wird?«, riet ich.
Angie lachte leise. »Wohl kaum. Wir reden hier von meiner Tochter. Das war zwar sein Zweck, aber für sie war es auch eine Erinnerung an ihr Versprechen. Jeden Tag überprüfte ich das Signal aus ihrem Armband. Mit jeder Bewegung schwor sie mir, dass sie mich nie aus freien Stücken verlassen würde, dass ihre Liebe zu mir stärker war als ihre Todessehnsucht.«
Wieder war es still in der Leitung, und obwohl sie Tausende von Kilometern entfernt war, hätte ich ihren Schmerz nicht inniger gefühlt, wenn wir im selben Körper gesteckt hätten. Blut ist vielleicht dicker als Wasser, aber Cambion-Bindungen überdauern das irdische Leben.
Um das Gespräch auf ein weniger deprimierendes Thema zu lenken,
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