Camel Club 01 - Die Wächter
irgendeine Bemerkung gefallen, und sei es auch nur beiläufig?«
»Nein… etwas Konkretes hat er nie über seine Arbeit erzählt.«
»Keine finanziellen Schwierigkeiten, keine Ex-Freundin, nichts Derartiges?«
Anne schüttelte den Kopf.
»Was haben Sie letzte Nacht zwischen dreiundzwanzig und zwei Uhr gemacht?«, fragte Jackie.
Mit ausdrucksloser Miene blickte Anne ihn an. »Wollen Sie damit etwas Bestimmtes andeuten?«
»Ich glaube, die Frage ist unmissverständlich.«
»Sie haben gesagt, Patrick hätte Selbstmord begangen. Was spielt es da für eine Rolle, wo ich gewesen bin?«
Alex griff ein. Er empfand die Vernehmungstechnik seiner Kollegin als ärgerlich. »Dienstlich betrachtet ermitteln wir in einem Todesfall, der sowohl Freitod wie auch Mord sein könnte. Zurzeit versuchen wir lediglich festzustellen, wo die Personen aus Patricks Umfeld sich zur Tatzeit aufgehalten haben. Wir stellen vielen Leuten diese Frage. Interpretieren Sie keine größere Bedeutung hinein, als unbedingt sein muss.«
Langsam zerschmolz Anne Jeffries’ Trotz. »Na ja… ungefähr um achtzehn Uhr dreißig bin ich fort von der Arbeit. Der Berufsverkehr war so schrecklich wie immer. Eine Stunde und zehn Minuten habe ich gebraucht, um ein paar Kilometer zu schleichen. Zu Hause musste ich mehrere Telefonate erledigen, hab eine Kleinigkeit gegessen und bin danach zurück nach Old Town gefahren, zu der Frau, die mein Hochzeitskleid näht.« Sie verstummte und schluchzte auf. Alex reichte ihr ein frisches Kleenex und schob ihr das Glas Wasser hin, das sie sich vorhin eingeschenkt hatte. Sie trank einen Schluck, bevor sie die Aussage fortsetzte. »Gegen einundzwanzig Uhr dreißig war ich bei ihr fertig. Anschließend kam ein Anruf einer Freundin, die in Old Town wohnt, und wir haben uns im Union Street Pub getroffen, um was zu trinken. Wir haben eine gute Stunde zusammengesessen und ein bisschen geplaudert. Dann bin ich wieder nach Hause gefahren. Um Mitternacht lag ich im Bett.«
»Wie heißt Ihre Freundin?«, fragte Jackie. Anne Jeffries nannte den Namen, und Jackie schrieb ihn auf.
Die beiden Agenten erhoben sich, um sich zu verabschieden, doch Anne hatte noch etwas auf dem Herzen.
»Was ist mit… seinem Leichnam? Niemand hat mir gesagt, wo er ist.«
»Meines Erachtens müsste er jetzt im Leichenschauhaus liegen«, gab Alex leise zur Antwort.
»Kann ich… Ich meine, ist es möglich, dass ich ihn sehe?«
»Sie müssen sich das nicht zumuten«, sagte Jackie. »Er wurde bereits eindeutig identifiziert.«
»Darauf kommt es mir nicht an. Ich… ich möchte ihn bloß ein letztes Mal sehen.« Für einen Moment schwieg Anne. »Ist er sehr entstellt?«
»Nein«, erwiderte Alex. »Ich werde tun, was ich kann, dass Sie ihn sehen dürfen. Lebt seine Familie eigentlich auch in der hiesigen Gegend?«
»Nein, in Kalifornien. Inzwischen hab ich mit ihnen telefoniert. Sie kommen hergeflogen, mitsamt Patricks Bruder.« Anne blickte Alex in die Augen. »Wir waren wirklich sehr glücklich.«
»Sicher«, sagte Alex, als er und Jackie zur Tür gingen. Draußen stellte er seine Kollegin zur Rede. »Verdammt noch mal, bezeichnen Sie das als effektive Vernehmungstechnik?«
Jackie hob die Schultern. »Ich war die Böse, Sie der Gute. Es hat sich doch bewährt. Wahrscheinlich sagt sie die Wahrheit. Und sie weiß nichts über mögliche Hintergründe.«
Bevor Alex antworten konnte, summte sein Handy.
Er lauschte kurz und wandte sich dann erneut an Jackie. »Los, weiter«, sagte er und ging mit schnellen Schritten davon.
»Wohin?«, rief Jackie und eilte ihm nach.
»Das war Lloyd vom FBI. Sie glauben zu wissen, was Patrick Johnson so leidgetan hat.«
KAPITEL 21
Als Alex und Jackie in Bethesda vor Patrick Johnsons Wohnsitz eintrafen, hatten sie gleich zwei Gründe, überrascht zu sein. Erstens gab es kein sichtbares Anzeichen von Polizeipräsenz, nicht einmal Streifenwagen oder gelbes Absperrband. Einzig zwei Suburbans auf der Zufahrt deuteten darauf hin, dass sich im Haus jemand aufhielt.
Die zweite Überraschung bot das Haus selbst.
Alex blieb auf dem Gehweg davor stehen, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete das Einfamilienhaus. Groß war es nicht, aber es stand frei, und die umliegende Wohnsiedlung gehobenen Niveaus trennte lediglich ein Spaziergang von Bethesdas belebter Ortsmitte. »Bei Johnsons Gehaltsstufe hatte ich erwartet, hier eine ähnliche Bude vorzufinden wie die, in der seine Verlobte wohnt«, sagte Alex. »Mann,
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